Domvikar Reidegeld sprach von einer „existenziellen Krise“ der Kirche: „Für viele Menschen hat sich der Vertrauensvorschuss in einen Misstrauensvorschuss verwandelt.“ Im Zentrum müsse nun der einzelne Betroffene stehen, durch dessen Leben sich der Missbrauch häufig „wie ein schwarzer Faden“ ziehe. Viele Gespräche mit Opfern habe er bereits geführt – Gespräche, die ihn erschüttert und bewegt hätten: „Das, was ich dabei erlebe, begreife ich ganz persönlich als Auftrag, an der lückenlosen Aufklärung dieser Fälle mitzuwirken und für notwendige Konsequenzen in unserer Kirche einzustehen“, betonte er.
Auch Weihbischof Zekorn lenkte den Blick auf die Betroffenen: „Ihr Leid ist unvorstellbar und ich weiß, dass ich mir das nicht vorstellen kann.“ Schwer wiege der falsche Umgang mit Tätern: „So falsch, dass Kinder und Jugendliche zu Opfern geworden sind, die es nicht hätten werden müssen“, räumte er ein. Die Kirche stünde jetzt in der Verantwortung, Betroffenen Hilfe zukommen zu lassen, radikal aufzuklären und sexualisierte Gewalt möglichst zu verhindern. „Dazu arbeiten wir transparent und offensiv mit Behörden, Wissenschaftlern und anderen Fachkräften zusammen“, betonte er.
Erste Maßnahmen für vereinfachte Zugangswege für Betroffene erläuterte Domvikar Reidegeld. So habe das Bistum zwei Ansprechpartner eingesetzt, die bewusst keine kirchlichen Mitarbeiter seien. Sie können im Falle eines zurückliegenden oder aktuellen sexuellen Missbrauchs sowie bei einem Verdacht kontaktiert werden. Jede Meldung werde außerdem an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Sollte es dabei zu einer Verfahrenseinstellung aufgrund mangelnder Beweislage kommen, habe das Bistum mit einem Untersuchungsrichter eine weitere Instanz eingeführt, die gegebenenfalls ein kirchliches Verfahren einleitet. Auch gebe es durch die sogenannte Zahlung zur Anerkennung des Leids sowie die Übernahme von Therapiekosten finanzielle Unterstützung für Betroffene.
„Hinsehen und schützen!“ lautet das Motto, unter dem in den vergangenen Jahren bereits rund 50.000 Menschen im Bistum Münter geschult worden sind. „Die Präventionsschulungen sind ein wichtiger Aspekt hin zu einem anderen Umgang mit Sexualität“, erklärte Ann-Kathrin Kahle von der Fachstelle Prävention im Bistum. Sie warb für einen weitgefassten Sexualbegriff: Neben strafrechtlich relevanten Formen der Gewalt umfasse dieser auch unangemessenes Verhalten, beispielsweise in Form von Berührungen oder Witzen. Auch sexuelle Übergriffe seien eine Form, bei der bewusst Grenzen überschritten würden. „Für den Schutz von Kindern und Jugendlichen sind Erwachsene zuständig“, betonte Kahle. Sie gelte es zu stärken, damit sie sprachfähig werden und für den Schutz von Kindern und Jugendlichen einstehen können.
Im Gespräch mit dem Publikum antworteten die Vertreter des Bistums auf Fragen nach Missbrauchsursachen, Machtverhältnissen und dem Verständnis von Sexualität in der Kirche. Eine offene und zeitweise kontroverse Diskussion wie in Drensteinfurt wertet Domvikar Reidegeld als „Hoffnungszeichen“. In den kommenden Monaten und Jahren gelte es, das Thema weiter wachzuhalten, sagte er: „Das eine ist die Bewältigung der Vergangenheit, das Dasein für die Betroffenen. Das andere ist der Einsatz in Sachen Prävention, damit Kinder und Jugendliche in kirchlichen Räumen geschützt sind.“
Ann-Christin Ladermann