„Seit Ende 2018 leben Asylsuchende für bis zu zwei Jahre in derzeit 33 zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) in NRW. Das große integrationsfördernde ehrenamtliche Engagement der Zivilgesellschaft konnte sich innerhalb dieser Einrichtungen aufgrund der restriktiven Vorgaben kaum entwickeln. Die funktionierende Versorgung, Unterbringung, Arbeitsmarktintegration und soziale Einbindung der Menschen mit Fluchthintergrund wurde durch die Einführung des Asylstufenplans weitgehend zum Erliegen gebracht“, schreiben die Unterzeichner. Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Flüchtlingsorganisationen hätten bereits vor der Verabschiedung der neuen gesetzlichen Regelungen in kritischen Statements die offensichtlichen Nachteile von engen Sammelunterkünften mit mehreren hundert Personen, Gemeinschaftsessen und wenig Bewegungsfreiheit angemahnt. Die Gewerkschaft der Polizei habe davor gewarnt, dass Langeweile und Kasernierung von bis zu 24 Monaten in den Einrichtungen zu Konflikten führen könnten.
Mit der Corona-Krise sei eine weitere Eskalationsstufe erreicht: Lebensgefahr und wochenlange Kettenquarantänen für hunderte Menschen, heißt es in dem Brief weiter. Studien würden ein außerordentlich hohes Übertragungspotenzial in Sammelunterkünften anmahnen. Doch dies werde ignoriert. Unter anderem sei in NRW per Erlass vom 19. März entschieden worden, die sogenannten „Transfers“ auszusetzen und die Menschen in den zentralen Unterbringungseinrichtungen zu belassen. Offizielle Angebote beispielsweise durch das KönzgenHaus, Geflüchtete aus dieser Lage zu befreien und im Gegenzug aufzunehmen, seien von der Regierung abgelehnt worden.
„Schon lange machen wir uns große Sorgen, was denn ein bis vor kurzem eigenständiger Mensch ohne Arbeit, Sprachkurse, Kontakte, Bewegung, selbstbestimmte Verpflegung, Kontakte zu Familie und Freunden über mehrere Wochen macht? Wie es den Kindern geht? Wer vor Gewalt schützt? Ob die Bescheide zugestellt werden? Wie die Unterstützung der Frauen und Mütter aussieht?“, fragen die Unterzeichner in ihrem Brief.
Vor dem Hintergrund der hohen Ansteckungszahlen in den ZUE's mahnen sie die Landesregierung dringend, „das Pokerspiel mit der Gesundheit der Schutzsuchenden zu beenden! Und wir fordern eine Aufarbeitung der bisherigen Infektionsketten in den ZUE'n! Kurzfristig müssen die Menschen vorbeugend getestet, alle Risikogruppen aus den Einrichtungen entlassen und Hygienemaßnahmen eingehalten werden!“
Die Unterzeichner wundern sich, warum wenig Informationen nach außen dringen, obwohl das Interesse der Gesellschaft an der aktuellen Behandlung der Menschen groß sei. „Das Messen mit zweierlei Maß in Bezug auf die Coronaprävention ist unerklärlich und entzieht sich jeglicher Logik. Der Schutz der Schutzsuchenden muss der Gleiche sein“, heißt es in dem Brief. ,,Nur wenn Gesundheitssysteme integrativ sind und wirklich alle Bevölkerungsgruppen einschließen, können regionale und internationale Ziele zur Kontrolle von Infektionskrankheiten wie Covid-19 erreicht werden. Unterschiedliche (!) Verwaltungsgerichte sagen Ihnen klar, dass Sie kein Recht haben, Asylbewerberinnen und -bewerber in den ZUE'n des Landes festzuhalten“, richten sie das Wort an Laschet.
Aus diesem Grund halten die engagierten Halterner es zwingend erforderlich, das Thema der zentralen Unterbringungseinrichtungen auf den Prüfstand zu stellen und jetzt die rechtlich gebotenen Konsequenzen zu ziehen. „Wir rufen Ihnen die Warnung Ihres Parteikollegen Norbert Blüm vor der ‚moralischen Insolvenz Europas‘ laut zu und appellieren an Ihre Verantwortung: Verteilen Sie die geflüchteten Menschen dezentral auf die Kommunen und schützen Sie Leben! Tun Sie das jetzt, sofort!“
Michaela Kiepe