Karfreitags-Predigt
Das Kreuz in die Mitte zu stellen und sich durch den Blick darauf von dem gekreuzigten Jesus über die tiefsten Abgründe von Leid, Schmerz und Verlassenheit tragen zu lassen:
Dazu hat Bischof Dr. Felix Genn am Karfreitag im St.-Paulus-Dom in Münster bei der Feier vom Leiden und Sterben Christi aufgerufen. Der Bischof des Bistums Münster stellte in seiner Predigt einen Bezug zwischen dem Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525, den er als Synonym für alle "unfassbaren, unverständlichen Tiefen in unserer Welt und in unserem menschlichen Herzen" verwendete, und dem Kreuzestod Jesu her.
In der St.-Sixtus-Kirche in der Stadt Haltern, die zum Bistum Münster gehört und aus der 18 Opfer des Absturzes stammen, habe man nach dem Unglück das seit Jahrhunderten besonderes verehrte Halterner Kreuz in die Mitte des Gotteshauses gerückt. Das passiere sonst nur zu Karfreitag. In diesem Jahr aber habe die Sixtus-Kirche schon einige Tage vor Karfreitag "der Trauer, der Wut, den Tränen, dem Unverständnis, dem Gebet einen Ort" gegeben, erklärte der Bischof.
Viele Menschen hätten angesichts des Unglücks einen Raum für ihre Frage nach dem ,Warum‘ gesucht. "Diese Frage, ja, dieser Schrei richtet sich in einen offenen Raum, vielleicht auch an Gott", sagte Genn, "doch sie bleibt ohne unmittelbare Antwort. Sie ruft in einen Abgrund – denn das Ganze, was da geschehen ist, hat eine Abgründigkeit, die wir gar nicht ausloten können." Es gebe viele solcher unfassbaren, unverständlichen Tiefen, bekannte der Bischof und ergänzte: "Bisweilen blicken wir vielleicht auch in zwischenmenschlichen Beziehungen in Abgründe, aber auch in Abgründe unseres eigenen Herzens. Manchmal können wir uns selbst nicht verstehen, geschweige denn, dass wir Gott verstehen könnten."
Mitten in dieser Erfahrung von Unfassbarkeit und Abgründigkeit werde das Kreuz in die Mitte gestellt. Der Blick auf den "geschundenen Menschen am Kreuz" mache deutlich, dass Gott den menschlichen Abgründen nicht unbeteiligt gegenüber stehe, sondern dass er sogar selbst in diese Abgründe gestiegen sei.
In seinem Sohn Jesus Christus sei er bei dessen Tod am Kreuz "schließlich hinabgestiegen in die Erfahrung der schlimmsten finstersten Abgründigkeit: Gottes Gegenwart nicht mehr wahrnehmen zu können und damit nun wirklich verlassen zu sein." Solange Menschen mit dem Kreuz umgegangen seien, hätten sie diese unfassbare Botschaft des hinabgestiegenen Gottes gespürt. "Ob sie das alles immer direkt und in der ganzen Tiefe glaubend ausgelotet haben, ist dabei gar nicht entscheidend", meinte Genn, "doch es gab diese Anziehung, und es gibt diese Anziehung, die vom Kreuz ausgeht: Gott lässt uns auch im Abgrund nicht allein, weil er in Jesus die Erfahrung des Todes mit uns geteilt hat."
Die Leidenschaft Gottes für sein Volk habe ihn bis zu diesem Punkt geführt. "Seine Leidenschaft geht so weit, dass er sich dem Tod überliefert, um uns aus dem Tod empor zu heben", führte der Bischof aus. Das sei gemeint, wenn man das Kreuz auch dann in die Mitte stelle, wenn – wie angesichts der Flugzeugkatastrophe in Haltern – "der Karfreitag zu einer anderen Stunde anbricht, als er im Kalender vorgesehen ist." In "feinfühliger Intuition" hätten die Haltener genau das getan. So hätten sie Menschen, "ob sie glauben oder nicht, ob sie ringen, zweifeln, Gott anklagen oder stumm bleiben, den Hinweis gegeben: Hier kannst du einen Ort finden, an dem du auch in deinem tiefsten Leid dem begegnen kannst, der mit seiner Liebe die Abgründigkeit unserer Fragen, die Abgründigkeit unseres Herzens, auch die Abgründigkeit von großer Schuld ausgehalten hat und der uns so über diesen tödlichen Abgrund hinweggetragen hat." Ihr Glaube lasse Christen bekennen, dass dies das Geschenk von Gottes Gnade sei. Deshalb verehrten sie am Karfreitag das Kreuz.
Abschließend rief der Bischof die Gläubigen zur bewussten und intensiven Solidarität mit allen auf, die durch einen jähen Tod einen lieben Menschen verloren hätten. Er lud ein, dafür zu beten, dass sie "in ihrem persönlichen Karfreitag auch bereits einen Schimmer vom Ostermorgen erahnen dürfen." Auch den Co-Piloten der Maschine als mutmaßlichen Verursacher des Absturzes bezog der Bischof in das Gebet ein: "Wir dürfen es sogar wagen, dem Erlöser der Welt denjenigen anzuvertrauen, der dieses tiefe Leid verursacht hat, dass er sich im Abgrund seines Tuns für die Gnade des Erlösers öffnen kann."
Text: Bischöfliche Pressestelle
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