KjG-Kinderstadt: Demokratie im Miniformat

, Bistum Münster

Die Turnhalle des Berufskollegs in Borken ist nicht wiederzuerkennen. Wo sonst Schülerinnen und Schüler im Sportunterricht Fußball spielen, herrscht geschäftiges Treiben. In der Bank wird der Lohn ausgezahlt, im Radiostudio werden Nachrichten gesendet, auf der Straße wird ein Zebrastreifen angelegt, im Stadtpark wird mit einem Cocktail in der Hand gechillt.

„Willkommen in der Kinderstadt“ – einem Ferienprojekt der Katholischen jungen Gemeinde (KjG), das 100 Kinder aus den Bistümern Münster und Essen für eine Woche in eine eigene kleine Gesellschaft eintauchen lässt. Vom Radiomoderator bis zur Bankangestellten, vom Koch bis zur Straßenarbeiterin: Hier übernehmen Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren das Ruder.

„Ich finde das cool, den anderen Jobs zu geben“, sagt Merle (9) aus Recke, die im „Arbeitsamt“ dafür sorgt, dass freie Stellen neu besetzt werden. „Sonst machen das ja immer die Erwachsenen, das Wählen und so – aber hier dürfen das die Kinder.“ Jede halbe Stunde dürfen die Kinder ihren Beruf wechseln – ob im Popcornverkauf, im Musikstudio oder auf der Baustelle. Für ihre Arbeit bekommen sie „Seelenborglinge“, die eigene Währung der Kinderstadt. Bezahlt wird in bar, an der Bank. „Der Effekt wird meistens erst sichtbar, wenn sie das Geld wirklich in der Hand halten“, erzählt Veerle Seelig aus dem Projektteam.
 

Hannes (12) aus Goch hat daraus längst seine Strategie entwickelt: „Wir sind mit dem Popcorn und der Pizza rumgegangen, haben gefragt, ob die anderen das kaufen wollen. So haben wir viel mehr geschafft als gestern – und auch viel mehr verdient!“

Geleitet wird die Stadt nicht von einer einzelnen Person, sondern von einem siebenköpfigen „Stadtgestalterrat“. Die Kinder wurden demokratisch gewählt, tagen jeden Tag eine Stunde lang und entscheiden über Anträge der Bevölkerung – eingereicht über ein Sorgentelefon. Am Vortag wurde zum Beispiel ein Antrag auf Bürgergeld abgelehnt, ebenso die Einführung einer Polizei. „Wir sind uns schnell einig, und manchmal stimmen wir ab“, erklärt Ethan (10), der dem Rat angehört.

Rund 60 bis 70 Menschen, darunter etwa 40 Ehrenamtliche, sorgen dafür, dass alles rund läuft. Geschlafen wird in einem Nebengebäude des Berufskollegs, gekocht wird selbst – im eigenen Restaurant der Kinderstadt, natürlich unter Einhaltung der Hygienevorgaben. Die Kinder nähen Haargummis in der Schneiderei, um sie zu verkaufen, gestalten Plakate im Marketingbüro, um Jobs zu bewerben, oder gönnen sich Erholung im Spa.

„Kinderstädte gibt es zwar schon länger, zum Beispiel in Köln und auch Rhede gab es schon ein solches Projekt“, sagt Veerle Seelig. „Aber das hier ist ein echtes Demokratieprojekt. Es ist anstrengend – aber es gibt kaum etwas Demokratischeres.“ Die Kinderstadt in Borken zeige, was passiert, wenn man Kindern Verantwortung überlässt: „Sie lernen, sie gestalten – und sie wachsen über sich hinaus. Und das alles mit viel Engagement und Spaß.“

Ann-Christin Ladermann