„Leben, was Gott für mich vorgesehen hat“

, Bistum Münster

Selbstbestimmt leben – das klingt selbstverständlich. Für Menschen wie Manuel Stall aber war es ein mühsamer Weg bis dahin. Deshalb begrüßt der 47-Jährige das Anfang November in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz und die Konsequenzen, die es für die Kirche hat. Denn Manuel Stall ist gläubiger Christ und arbeitet für das Bistum Münster. Und ihm wurde bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen. Diesen Eintrag wird er jetzt in „männlich“ ändern lassen – auch im Taufregister. 

Manuel Stall begrüßt das Anfang November in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz und die Konsequenzen, die es für die Kirche hat.

© Privat

Der 47-Jährige absolvierte in der Jugend eine Ausbildung in der Verwaltung und arbeitete dort bis 2003. Dann orientierte er sich neu, wurde nach fünfjähriger Ausbildung Pastoralreferent*in im Bistum Münster, zunächst in Oelde, dann – wegen gesundheitlicher Einschränkungen – in der Kranken- und Altenseelsorge. Auf eigenen Wunsch kehrte Stall zurück in die Gemeindeseelsorge und wechselte nach St. Anna Neuenkirchen. 

Zu der Zeit wurde dem gebürtigen Hopstener klar, dass er transident ist, seine Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. „In der Gemeinde war das nie Thema“, erinnert er sich, „die haben mich nicht anders kennengelernt. Ich bin immer in Männerkleidung aufgetreten.“ Seine Eltern hingegen seien beim Outing „aus allen Wolken gefallen“. Vor allem hätten sie befürchtet, dass er und die Familie im Heimatort nicht mehr akzeptiert werden würden. Das habe sich zum Glück nicht bewahrheitet. 

Er selbst hielt sich damals schon an das, was er bis heute wichtig findet: „Man muss dem Gegenüber Zeit geben, Transidentität zu verstehen und die Umstellung zu verarbeiten.“ Seine jüngere Schwester wiederum habe schnell gesagt: „Jetzt habe ich einen großen Bruder.“ 

2019 outete sich Manuel Stall in der Personalabteilung des Bistums. Die damaligen Statuten für Pastoralreferenten und -referentinnen hätten, erinnert er sich, Aussagen zu Homosexualität enthalten – nichts für seine Lage. Im Ergebnis habe man ihn in die IT-Abteilung versetzt, „um mir Entwicklungszeit zu geben.“ Rückblickend würde er sich Kommunikation auf Augenhöhe wünschen, „mehr mit mir statt über mich.“  2022 folgte der endgültige Wechsel in die IT-Abteilung. Dort setzt Manuel Stall seine organisatorischen Kompetenzen im Bereich zyklischer Hardwareaustausch ein. „Dass ich von der Seelsorge in die Verwaltung gehe, war die Entscheidung der Bistumsleitung, dass ich in der IT bleibe, war meine“, fasst er zusammen.

Obwohl ihm seine heutige Aufgabe Freude macht, vermisst Manuel Stall den pastoralen Dienst und „für Menschen da zu sein“. Da er aber auch wegen seiner Grunderkrankung kaum dauerhaft in der Seelsorge hätte arbeiten können, „ist das ein Trauerprozess, der eher auf meiner Krankheit basiert als auf meiner Transidentität.“

Über das Selbstbestimmungsgesetz freut Manuel Stall sich. Denn seine Erfahrung ist: „Je einfacher und natürlicher man mit der Situation umgeht, desto besser geht auch das Umfeld damit um. Und dabei hilft das Gesetz.“ Die unkomplizierte Änderung des Geschlechtseintrags bei amtlichen Stellen sei wichtig: „Das ,Leben dazwischen‘ führt zu Konflikten und Unverständnis. Eindeutigkeit ist besser für Menschen zu verstehen.“ Persönlich hätte er sich vorstellen können, als „Herr Manuela Stall“ zu leben. Aber zugunsten der Eindeutigkeit habe er sich für den neuen Namen entschieden. Da auch die Kirche in ihren Büchern das Gesetz umsetzt, kann und wird Manuel Stall außerdem seinen Taufeintrag in „männlich“ ändern lassen. Ihm ist es wichtig, „dass nichts mehr auf meinen früheren Geschlechtseintrag hindeutet.“ 

Über die gesetzlichen Möglichkeiten hinaus hofft Stall für die Gesellschaft, „dass es genauso normal wird, Vornamen und Anrede zu wechseln, wie es bei Heirat selbstverständlich ist, den Nachnamen zu wechseln.“ Eine weitere Hoffnung sei, dass populistische Scheinargumente zu Transidentität widerlegt werden. „Transidente Menschen möchten sich normal in der Gesellschaft bewegen, ohne Angst vor körperlichen und verbalen Übergriffen“, betont Stall. 

Der Hopstener setzt sich für Verständnis und Akzeptanz ein. „Die Menschen können mich gern zum Thema Transidentität fragen“, sagt er, „denn Fragen sind ja auch ein Zeichen, dass dieser Mensch mit mir in Beziehung treten oder bleiben will.“ Für die Antworten hat er eine Strategie: „Viele können den Konflikt nachvollziehen, wenn ich sie bitte, sich Folgendes vorzustellen: Ihnen würde ein Leben lang erzählt, dass sie dem anderen Geschlecht angehören, als sie es selbst spüren, wahrnehmen und als richtig empfinden. Sie würden Tag für Tag gezwungen, in dieser anderen und fremden Geschlechterrolle zu leben.“

In diesem Sinne hofft Manuel Stall, dass „die elende Diskussion um die angebliche Genderideologie aufhört.“ Es gehe nicht um Ideologie, sondern um das Leben von Menschen. Und, davon ist er als Christ überzeugt: „Ich muss leben, was Gott für mich vorgesehen hat.“ 

Bischöfliche Pressestelle / Anke Lucht