Marienschülerinnen gewinnen ersten Platz mit Euthanasie-Theaterstück

, Stadtdekanat Münster

Sie haben Briefe gelesen, in denen Mütter fragen, wann sie ihre Kinder wiedersehen. „Dass das niemals mehr der Fall sein wird, konnten und wollten einige nicht realisieren.“ Viel haben die sieben Marienschülerinnen – Anouk Abbing, Cosima Berger, Anna Hendler, Sanna Homann, Merit Jung, Alex März und Anna-Lisa Rölker – in den vergangenen Monaten über das Thema Euthanasie gelernt. Harte Kost für Neunklässlerinnen, die bis dato zu den grausamen Verbrechen während des Nationalsozialismus nur einen kleinen Absatz in ihrem Geschichtsbuch überflogen hatten. 

Die Schülerinnen während der Aufführung ihres Stückes „Briefe nach Ewigheim“.

© Marienschule Münster

Ohne Details zu kennen, meldeten sie sich auf die Anfrage ihres Theaterlehrers Christian Reick: Dieser wollte ein Theaterstück mit den Schülerinnen des Bischöflichen Gymnasiums entwickeln und damit am Wettbewerb „andersartig gedenken on stage“ teilnehmen. Die Arbeit, die längst zu einem Herzensprojekt der 14- und 15-Jährigen geworden ist, wurde belohnt: Am Dienstag, 20. Juni, wird die Schülerinnengruppe, die sich „Ensemble LichterSchatten“ getauft hat, im Pfefferbergtheater in Berlin mit dem ersten Preis für ihr Stück „Briefe nach Ewigheim“ ausgezeichnet. Als einzige Gruppe darf sie zu diesem Anlass ihr Stück vor dem Berliner Publikum noch einmal aufführen.

„Theater gegen das Vergessen“ fördert der Verein „andersartig gedenken“ und hat zum dritten Mal Jugend- und Schultheatergruppen bundesweit aufgerufen, Biographien von Opfern der NS-„Euthanasie“-Verbrechen ins Zentrum eines selbst entwickelten Bühnenstücks zu stellen. Die Schülerinnen näherten sich gemeinsam mit Lehrer Christian Reick dem Thema, recherchierten in Büchern und Zeitungsarchiven, forschten im Internet und stießen auf zahllose Briefe und Texte: Schriften von Angehörigen an die Anstalten, von denen aus die Opfer in die Gaskammern gebracht wurden; Briefe von Medizinern, die den tödlichen Gashahn bedienten; Aussagen von Busfahrern; Gerichtsprotokolle. Mehr als 20 von ihnen stehen im Zentrum des Schülerinnenstücks „Briefe nach Ewigheim“. Sieben Stühle und einige Blätter Papier – das ist alles an Requisiten, die das dokumentarische Theaterstück braucht. Einige wenige szenische Andeutungen kommen vor, überwiegend steht das gesprochene Wort im Mittelpunkt – das Verlesen der Briefe, deren Inhalt nicht selten unter die Haut geht.

Die sieben Marienschülerinnen haben in den vergangenen Monaten viel über das Thema Euthanasie gelernt.

© Marienschule Münster

„Es war eine intensive Zeit“, sagt Sanna Homann über die Auseinandersetzung mit dem Thema. Obwohl die Schülerinnen ihr Stück schon vier Mal präsentiert haben – drei Mal vor unterschiedlichem Publikum in der Marienschule und einmal in der Kulturkirche in Hamm – empfindet die 15-Jährige die Briefe immer wieder „wie einen Schlag ins Gesicht“. So grausam sei das, was damals passiert ist, „und viel zu wenige wissen darüber Bescheid“, kritisiert Anouk Abbing den geringen Umfang, den das Thema im Schulunterricht einnimmt. Wichtig war den Schülerinnen neben den historischen Bezügen auch eine Verknüpfung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Diskursen – so war es auch in der Ausschreibung gefordert. Anna-Lisa Rölker hat sich deshalb mit dem Thema Pränataldiagnostik beschäftigt. „Der Fortschritt der Medizin in diesem Bereich ist nicht unumstritten und wirft ethische Fragen auf“, hat die 14-Jährige festgestellt.

Die Schwere des Themas trügt die Vorfreude der Schülerinnen auf den Kurztrip nach Berlin mit Preisverleihung und Sightseeing nicht. Weil es ihnen ein Anliegen ist, die Thematik stärker in die Öffentlichkeit zu bringen und damit gegen das Vergessen zu arbeiten, haben sie sich entschieden, das rund 45-minütige Stück bis Ende des Jahres „spielbar“ zu halten. Sollten Einrichtungen, Gruppen und Institutionen Interesse haben, das Theaterstück ins Haus zu holen, können sich die Verantwortlichen per Mail an Christian Reick wenden unter .

Einen ersten Einblick in das Siegerstück „Briefe nach Ewigheim“ der Marienschülerinnen gibt es im Trailer, der hier zu finden ist. 

Ann-Christin Ladermann