Notfallbegleitung in Münster blickte auf 21-jähriges Bestehen zurück

, Stadtdekanat Münster

Mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Apostelkirche begann die Feier zum 21-jährigen Bestehen der „Notfallbegleitung (NFB) Münster“. Damit wurde die für 2020 geplante Veranstaltung zum 20. Geburtstag, die aus Pandemiegründen ausfallen musste, nachgeholt. Dem entsprechend hieß das Oberthema „21 Jahre Notfallbegleitung – Wege in die Volljährigkeit.“ Ein Empfang mit Vorträgen und Gelegenheit zum Austausch, moderiert von Pfarrerin Alexandra Hippchen, schloss sich im Liudgerhaus an der Überwasserkirche an. 

Die Beteiligten stehen um einen Tisch herum und lächeln in die Kamera.

Sie wissen um das Engagement der Ehrenamtlichen (von links): Referent Oliver Gengenbach, Guido Kleinschnitker (Feuerwehr), Stadtdechant Jörg Hagemann, Alexandra Helbing (Musikkorps der Freiwilligen Feuerwehr Münster), Simone Rahms (Feuerwehr), Pfarrerin Alexandra Hippchen, Pastoralreferent Martin Remke, Cordula Meier (Polizei).

© Rainer Nix

Ehrenamtliche Akteure in fliederfarbenen Westen leisten „Erste Hilfe für die Seele“ und lassen damit Menschen in Krisensituationen nicht allein. Bei Unfällen, Naturkatastrophen oder einem Verbrechen haben Hilfskräfte wie Feuerwehr oder Polizei oft nicht die Möglichkeit, sich um die seelische Not der Betroffenen zu kümmern. Dann sind die rund 30 Mitglieder der Notfallbegleitung zur Stelle, bis persönliche Vertrauenspersonen eingetroffen sind. Geleitet wird die Einsatzgruppe mit Helfern aus der Humanmedizin und Sozialpädagogik bis hin zu Seelsorge und Krankenpflege vom Arbeitskreis Notfallbegleitung. Heute besteht die Kooperation aus Mitgliedern der Polizei und Feuerwehr, des Malteser Hilfsdienstes sowie der Katholischen und Evangelischen Kirche. Die Schirmherrschaft übernahm Oberbürgermeister Markus Lewe. 

Notfallbegleiterin Kirsten Henkel machte als Erste an diesem Abend die Situation von Betroffenen deutlich: „Von einem Moment auf den anderen ist nichts mehr wie es war.“ Stadtdechant Jörg Hagemann ergänzte: „Menschen werden mit absoluten Veränderungen konfrontiert, die ihnen zunächst den Boden unter den Füßen wegreißen. Beziehungen, die das Leben getragen haben, brechen zusammen.“ Superintendent Holger Erdmann, seit vielen Jahren im Bereich Notfallseelsorge erfahren, drückte es so aus: „Man möchte den ‚Reset‘- Knopf drücken, doch es gibt kein Zurück.“ Dann seien Menschen vor Ort, die denjenigen beistünden, die im ersten Moment ins Bodenlose fallen. Getreu dem Wort des Apostels Paulus: „Einer trage des anderen Last.

Münsters Bürgermeisterin Maria Winkel erinnerte an die Amokfahrt 2018 in Höhe des Kiepenkerl-Denkmals, als ein 48-Jähriger einen Kleinbus in eine Gruppe steuerte. Man habe fassungslose Menschen in den Armen der Notfallbegleitung erleben müssen. „Sie kümmern sich um betroffene Menschen und helfen Ihnen, das oft Unfassbare zu begreifen“, so die Bürgermeisterin.

Pastoralreferent Bernd Kersken, NFB-Mitbegründer, reflektierte die Situation der Helfer, die sich grundsätzlich fragen müssten: „Was wollen wir, was können wir, was dürfen wir?“ Er apostrophierte die NFB als eine Einrichtung der solidarischen Bürger der Stadt Münster. Mittlerweile sind bereits mehr als 1000 Einsätze und damit 174.000 Stunden Ehrenamt geleistet worden.

„Die NFB  ist eine große Familie, die zusammengewachsen ist“, sagte Gottfried Wingler-Scholz, Leiter der Feuerwehr Münster. Die Feuerwehr könne Brände bekämpfen, doch für die Seele gebe es kein Löschmittel. „Die NFB macht wahrlich keinen einfachen Job, doch sie macht ihn mit Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl. Sie sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken“, betonte er. 

Glückwünsche sprach auch Polizeipräsident Falk Schnabel aus. „Es ist beachtlich, seit 21 Jahren zur Stelle zu sein, wenn das Leben aus den Fugen gerät. Was Sie ehrenamtlich leisten, kann man gar nicht hoch genug einschätzen“, sagte er. 

Mitbegründer der Notfallseelsorge in Westfalen, Pfarrer Oliver Gengenbach, hat die Einsatzkräftenachsorge aus den USA quasi ins Deutsche übersetzt. Sein „Institut für Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen“ (SbE) in Witten ist über die Landesgrenzen bekannt. „Bis zu 60 ehrenamtliche Einsätze pro Jahr, das muss man erst mal hinkriegen“, sagte Gegenbach in seinem Referat anlässlich des Geburtstages. Seine Zukunftsappelle: „Geben Sie nicht die Überzeugung auf, dass Notfallseelsorge ein Kernbereich kirchlicher Aufgaben ist.“ Neben dem hoch einzuschätzenden ehrenamtlichen Engagement brauche Notfallseelsorge aber auch hauptamtliche Kräfte. „Ehrenamtliche benötigen eine gute Begleitung und Ausbildung“, hob der Pfarrer hervor. „Kooperieren Sie weiterhin miteinander und schätzen Sie die Menschen und die Möglichkeiten, die sich dadurch bieten“, lautete ein weiterer Rat. Er warnte vor der destruktiven Wirkung gegenseitiger Rivalität und ermutigte, Fehler zu analysieren und miteinander zu lernen. Nicht zuletzt sollten die Helfer auch auf ihr eigenes seelisches Gleichgewicht achten. Trotz Tragik und menschlicher Tragödien sei es wichtig, niemals die Freude am Leben zu verlieren. „Humor ist der Sieg des Lebens über den Tod“, sagte Gengenbach und merkte an, dass Humor und Zynismus niemals gleichzusetzen seien.  

Text/Foto: Rainer Nix