Ökumenischer Friedensdialog in Münster

Durch die Gesellschaft gehen tiefe Risse, die Auseinandersetzungen werden schriller und polarisierender. Sie bedrohen den Frieden. Wünsche nach Räumen der Begegnung und des Austausches, des konstruktiven Diskurses werden laut. Inwieweit können die Kirchen solche Räume schaffen? Diese Frage wurde beim 2. Ökumenischen Friedensdialog, zu dem die Deutsche Kommission Justitia et Pax und die Evangelische Friedensarbeit nach Münster eingeladen hatten, diskutiert.

„Es sorgt für Zorn, für Wut, ja für Sprachlosigkeit, zu erleben, wenn Menschen Angst davor haben, das zu sagen, was sie denken und sie für ihre Meinung bedrängt, verletzt und ange-feindet werden“, meinte der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ, Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, in Münster. Viele würden nicht mehr ertragen, dass jemand anders ist, anders denkt, anders handelt. „Statt sich mit dem anderen auseinanderzusetzen, wird die Person abgelehnt. Das ist eine dramatische Entwicklung“, mahnte der Bischof.

Er schnitt damit die zentrale Frage an, die in Münster immer wieder Sprache kommen sollte: Wie geht die Gesellschaft, wie geht der Einzelne mit anderen Positionen um? Oder, wie Pro-f. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der Berlin Governance Platform, es ausdrückte: „Halten Menschen es aus, dass andere Menschen anders sind und dass dabei vielleicht die andere Seite seiner selbst entdeckt wird?“ Dabei führe ihrer Meinung nach ein gestörtes Selbstwertgefühl dazu, dass man sich durch das Andere beeinträchtigt fühlt. Und: „Dieses zerstörte Selbstwertgefühl zerstört dann auch den Frieden“, betonte sie.

Dass dies kein deutsches, sondern ein weltweites Problem ist, darauf verwies Landesbischof Friedrich Kramer, Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Es werden keine Diskurse mehr geführt, das Gegenüber wird nicht mehr als ge-sprächswürdig wahrgenommen“, betont er. Der Streit werde nicht mehr miteinander, sondern gegeneinander geführt, bedauerte der EKD-Friedensbeauftragte.

„Wir haben eine Kommunikations-Revolution“, unterstrich Anna-Lena von Hodenberg, Gründungsgeschäftsführerin von HateAid. Anders als die früheren analogen Räume seien die jetzigen digitalen Räume nicht reguliert. Vielmehr würden hier polarisierende Inhalte bei den Menschen zu Interaktionen führen. „Die sozialen Medien tragen zu der Polarisation in der Gesellschaft bei. Das macht mir Sorgen. Und es stellt sich die Frage, wo der öffentliche Diskurs auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen noch stattfindet“, fragte sie.

Könnten die Kirchen solche Räume schaffen? „Die Demokratie braucht Autoritäten dafür. Doch die Kirchen haben, nicht zuletzt durch ihren Umgang mit sexualisierter Gewalt, viel an Autorität verloren“, gab Gesine Schwan zu bedenken. Und dies sei gesellschaftlich schlimm, fügte die Politikwissenschaftlerin hinzu. Ein Gemeinwesen brauche ein Wertefundament. „Nicht alles, was verboten ist, ist erlaubt. Es gibt Benimmregeln“, so Schwan. Darum seien im öffentlichen Diskurs Respekt und Wertschätzung erforderlich. „Doch diese Notwendigkeit ist bei vielen nicht präsent“, bedauerte sie. Dass die Kirchen aber hier eine Autorität sein könnten, zeige sich in der Flüchtlingsdiskussion, wo sie klare Positionen vertreten würden: „Hier sind die Kirchen deutlich und tragen so auch zum Frieden bei.“

Die Kirchen stünden in ihrer jüdisch-christlichen Tradition, wo sich über Tausende Jahre ein Wertefundament entwickelt hätte, unterstrich Bischof Heiner Wilmer. Dazu gehöre ein um-fassender Frieden mit einem guten Leben für alle. „Und diesen Frieden kann es nicht ohne Gerechtigkeit geben“, unterstrich er. Dies brauche eine Freiheit der Menschenrechte, woraus sich Werte entwickeln, würden mit unverrückbaren Wahrheiten wie der Würde des Menschen, weil alle Menschen das Ebenbild Gottes seien, so der Bischof.

Kirchen könnten Gefährdungen auch verstärken, wenn sie sie religiös überhöhen, mahnte dabei aber auch Landesbischof Friedrich Kramer. Dies betreffe ebenso das Bedürfnis der Kir-chen, mit der Macht mitzugehen und die Anschlussfähigkeit an die Politik zu suchen, er-gänzte er. „Und eine Gefährdung ist schließlich auch, dass wir als Kirchen nicht das tun, was wir sagen“, machte der EKD-Friedensbeauftragte deutlich.

Er betonte aber auch: „Bei allem Vertrauensverlust traut man uns Kirchen dennoch zu, Räume zu schaffen für Gespräche und für respektvolle Diskussionen. Das ist eine große Chance“. Diesen Vertrauensvorschuss sollten die Kirchen nutzen, forderte er nachdrücklich.

Strukturen wie die der Kirche seien weiterhin wichtig, machte auch Gesine Schwan deutlich. „Menschen und Organisationen sind Autoritäten, wenn sie nicht für sich, sondern gerecht arbeitet. Dann wird sie ernst genommen“, meinte sie an die beiden Bischöfe gerichtet.

Dabei alle Menschen in den Blick zu nehmen, auch die Traditionen aller monotheistischen Religionen, auch des Islam, zu beachten und hier mit allen in den Dialog zu treten, dies war eine gemeinsame Forderung der Podiumsteilnehmer. Bischof Heiner Wilmer verwies dabei auf die Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII., die an „alle Menschen guten Willens“ gerichtet sei, nicht nur an die katholischen Christinnen und Christen. Und Landesbischof Friedrich Kramer sprach von einer „Ökumene der dritten Art“, wo er auf das wichtige und nötige Gespräch auch mit Menschen hinwies, die nichts glauben würden.

„Dafür braucht es aber Autoritäten, die für was einstehen“, machte Anna-Lena von Hoden-berg deutlich. Das Fundament dafür sei die Würde des Menschen, die sie nicht nur aus dem Glauben herleite, sondern aus dem Grundgesetz. „Und gerade diese Menschenwürde wird zunehmend infrage gestellt“, warnte sie. Doch leider würden auch die Kirchen diese Würde nicht immer kongruent leben. „Das ist vielleicht ein Grund, warum zivilgesellschaftliche Organisationen die Kirchen hier nicht mehr als Partner wahrnehmen“, gab sie zu bedenken.

„Es ist wichtig, in diesen Diskursen aus der Reaktion wieder in die Aktion zu kommen und sichere Räume für Diskussionen zu schaffen“, machte Anna-Lena von Hodenberg deutlich, Denn die digitalen Räume würden nicht mehr verschwinden, deshalb müsse man sie gestalten. Hier könnten die Kirchen helfen.

Den anderen nicht als Feind ansehen, mahnte Bischof Heiner Wilmer. „Auch der Feind ist ein Geschöpf Gottes und hat Würde“, erinnerte er an das christliche Gebot der Feindesliebe. Dazu gehöre auch, sich in das Denken des anderen hineinzuversetzen, um so zum Frieden zu kommen, unterstrich der Theologe. Und Landesbischof Friedrich Kramer machte deutlich: „Die Feindesliebe verhindert, dass ich selbst in den Kategorien des Feindes denke. Der Frieden wird am Ende der Zeit kommen, warum sollten wir nicht schon jetzt daran bauen?“

Münster erlebte nach 2021 in Osnabrück den 2. Ökumenischen Friedensdialog. Er wechselt zwischen den beiden Orten, die am Ende des 30-jährigen Krieges Friedensgeschichte geschrieben haben, hin und her und schafft Räume, um über die Rolle und Verantwortung der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Frieden nachzudenken.

Text: Justitia et Pax