Der katholische Priester, der die Pfarrei Seliger Niels Stensen in Lengerich leitet und seit Jahren auf die prekäre Situation von Arbeitsmigranten in Deutschland aufmerksam macht, diskutierte beim Katholikentag unter anderem mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der EU-Parlamentarierin und Vorsitzenden des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Anna Cavazzini, sowie Dirk Bingener, Präsident des Hilfswerks „missio“. Ebenfalls auf dem Podium saß die missio-Projektpartnerin Sr. Rose Paite. Die Ordensfrau aus Indien berichtete von ihrer Arbeit für junge Mädchen und Frauen aus den Teegärten von Assam, die dort leicht Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel werden. Sr. Rose Paite befähigt sie mit ihren Ausbildungs- und Empowerment-Kursen, nicht mehr länger Opfer zu sein: „Der Zugang zu Bildung bewahrt sie vor weiterem Menschenhandel“, betonte sie.
„Es gibt Menschenhandel auch in Deutschland, das ist Realität“, verdeutlichte Kossen, der dem Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ in Lengerich vorsitzt, der Betroffene unter anderem in Rechtsfragen berät. „Wir müssen solidarisch in die Welt schauen, aber auch vor der eigenen Haustür die Augen öffnen“, appellierte der Pfarrer. Entscheidend sei die Haltung, mit der man den Menschen begegne. „Die Polin hat nie einen Namen. Es wird nicht gesehen, dass hinter dieser Person eine Geschichte, eine Familie, ja Lebensträume stecken“, kritisierte er die fehlende Überschneidung der gesellschaftlichen Lebenswelten – und gab Hinweise für das Handeln jedes Einzelnen: „Hinschauen, ansprechen und zum Ausdruck bringen: ‚Ich sehe dich‘. Das kann jeder – auch ohne dieselbe Sprache zu sprechen.“
Um Armut und soziale sowie wirtschaftliche Abhängigkeiten langfristig zu beenden, verwies Kossen zudem auf die Rolle der Kirche: „Wir müssen uns in die Tagespolitik einmischen und mit dafür Sorge tragen, dass das Soziale in der Marktwirtschaft auch für alle Menschen gilt – nicht nur für diejenigen, die hier groß geworden sind“, forderte er.
Bundesarbeitsminister Heil brachte den Beschluss für ein europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte in die Diskussion ein. „Ziel ist es, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverstößen in ihren Lieferketten profitieren“, erklärte er und hob die Bedeutung dieser unternehmerischen und staatlichen Verantwortung hervor: „Es darf nicht der Verbraucher allein in Haftung genommen werden.“ Heil forderte darüber hinaus einen besseren Austausch der Behörden in Europa: „Wir müssen uns mit Nachdruck dafür einsetzen, denn der Kampf gegen Ausbeutung ist nicht vergebens. Jedem, dem wir damit helfen, ist es wert, weiterzukämpfen.“
Anna Cavazzini verwies neben dem europäischen Lieferkettengesetz auf ein weiteres Gesetz, mit dem die Europäische Union die Einfuhr von Produkten aus Zwangsarbeit verbieten will. „Mit dem Gesetz nutzt die EU ihre Marktmacht, um Zwangsarbeit weltweit zu bekämpfen“, erklärte die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Parlament. Es sei eine „gute Nachricht für die Menschenrechte weltweit“, aber auch für die europäischen Unternehmen, die aktuell unter Dumping-Importen aus Regionen mit Zwangsarbeit leiden würden.
Ann-Christin Ladermann