Prof. Reinhild Ahlers: Aufmerksamkeit und Zeitgeschenke gegen Einsamkeit

, Bistum Münster

Themen gibt es viele, Meinungen noch mehr. Nicht immer werden sie sachlich vorgebracht und ausgetauscht. Und viel zu oft bestimmen Empörung, Negativität, Ich-Bezogenheit und gegenseitige Attacken die Diskussionen. „Die Montagsmeinung“, das Meinungsformat des Bistums Münster, soll hier ein anderes Zeichen setzen. Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Kirche, die sich dem Bistum verbunden fühlen, setzen sich darin mit Themen auseinander, die für sie und andere relevant und aktuell sind. Die Autorinnen und Autoren lassen es aber nicht bei Klagen und Kritik. Sie haben vielmehr konstruktive Ideen und Lösungsansätze. Diese teilen sie alle 14 Tage montags an dieser Stelle mit uns.

Heute stammt die Montagsmeinung aus der Feder von Prof. Reinhild Ahlers. Sie hat fast 36 Jahre in der Abteilung Kirchenrecht des Bistums Münster gearbeitet und diese ab 1993 geleitet. Seit Juli dieses Jahres ist die Münsteranerin im Ruhestand. 

Prof. Reinhild Ahlers

© Bistum Münster

Facebook, Instagram, YouTube, WhatsApp, TikTok… Dies sind nur einige von schier unendlich scheinenden Netzwerken, die es heutzutage gibt und mit denen eine ständige und umfassende Kommunikation möglich ist. Und doch treffen wir in unserer Gesellschaft auf ein offenbar zunehmendes Phänomen: Einsamkeit. 

Glaubt man der Internetseite der Telefonseelsorge Deutschland, ist Einsamkeit das häufigste Thema der Ratsuchenden. Von Einsamkeit sind oftmals ältere Menschen betroffen. Aus dem Berufsleben ausgeschieden, haben sie so recht keine Aufgabe mehr, zumal wenn sie gebrechlich sind und eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben schwierig wird. Hinzu kommt, dass Verwandte und Freunde versterben und soziale Kontakte mehr und mehr abbrechen. 

Wie aber die Studie „Einsamkeit unter Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen nach der Pandemie“ zeigt, die an der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurde und im November 2023 erschien, gibt es Einsamkeit vermehrt auch bei Jüngeren. Die Studie hat ergeben, dass jeder fünfte ältere Jugendliche und junge Erwachsene sich stark einsam fühlt; bis zu acht ältere Jugendliche und junge Erwachsene fühlen sich mindestens moderat einsam. Bei jüngeren Jugendlichen fühlen sich sieben von zehn einsam. Das ist ein erschreckendes Ergebnis. 

Aber was ist Einsamkeit? Viele Menschen sind allein, haben dies gewollt und empfinden es als wohltuend – zumindest immer mal wieder. Einsamkeit dagegen ist eine Defiziterfahrung, die nicht gewollt und nicht gewünscht ist. Der Betroffene kann aus seiner Sicht nichts dagegen tun. Es ist gut, dass es Studien wie die oben genannte gibt, die das Thema Einsamkeit aus dem Keller des Verdrängens holt. Damit wird das Thema besprechbarer, und Menschen trauen sich eher, sich Hilfe zu suchen. 

Aber wo finden sie solche Hilfe? Die Telefonseelsorge ist sicher eine gute Möglichkeit. Ich selber engagiere mich ehrenamtlich in einem Sozialbüro. Dorthin kommen Menschen mit einem geringen Einkommen, um sich einen Lebensmittelgutschein als Unterstützung für ihren Lebensunterhalt abzuholen. Aber oftmals nutzen sie diesen Besuch auch, um ein kurzes Gespräch zu führen und ihre Sorgen zu teilen mit jemandem, der ihnen zuhört. Die Kabarettistin Carolin Kebekus moderierte vor kurzem einen Acht-Minuten-Film im Fernsehen, mit dem sie auf das Thema Einsamkeit aufmerksam machte. Sie begann mit der Aussage, der Zuschauer wundere sich sicher, die erwartete Sendung nicht zu sehen, und bat um acht Minuten Zeit, um auf ein wichtiges Thema aufmerksam zu machen. Dann sprach sie über Formen und Folgen von Einsamkeit. Am Schluss sagte sie, nun könne der Zuschauer entweder seine Sendung anschauen oder zum Telefonhörer greifen und einen Menschen anrufen, der einsam sein könnte. Eine Möglichkeit! 

Mir scheint es wichtig zu sein, dass wir aufmerksam sind und ein Auge aufeinander haben. Und dass wir, sofern wir die Zeit und die Möglichkeit haben, uns ehrenamtlich engagieren, um Menschen Zeit zu schenken. Das kann in einer organisierten Form sein oder auch individuell. Eine Freundin von mir ruft jeden Morgen eine alte Dame an, deren Freundin, die das früher tat, verstorben ist. Fünf Minuten am Tag, und ein Mensch fühlt sich gesehen und begleitet.

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