Frank Mittmann ist katholisch getauft, zur Erstkommunion gegangen und gefirmt worden. Er war Messdiener, hat viel Zeit im katholischen Jugendtreff verbracht. „Aber als ich mehr und mehr realisiert habe, dass ich als schwuler Mann aus kirchenrechtlicher Sicht eigentlich gar nicht dazugehöre, habe ich mit der Kirche gebrochen“, erzählt der heute 52-Jährige. Das große Transparent der Queergemeinde Münster, das er 2019 mitten im Zug der CSD-Demo entdeckte, sollte vieles verändern: „Bei meinem ersten Queer-Gottesdienst hatte ich Tränen in den Augen. Ich hatte meine kirchliche Heimat wiedergefunden.“
Mittmanns Geschichte ist kein Einzelfall. Unzählige Beispiele zeigen, dass christliche Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender aus Münster und Umgebung in der Queergemeinde, die in diesen Tagen ihr 25-jähriges Bestehen feiert und damit eine der ältesten Deutschlands ist, eine Heimat gefunden haben. „Das war damals sehr mutig“, bewertet Mittmann die Anfänge der Gemeinde. Eine Gruppe von Theologen trug den Gedanken, einen Gottesdienst für queere Menschen zu feiern, schon mehrere Jahre mit sich, bis sie 1999 auf Ludwig Gotthard, den damaligen Pfarrer von St. Sebastian in Münster, stießen. „Bei uns sind alle willkommen“, habe er gesagt. Der Platz in der angedachten Kapelle reichte nicht aus. Kurzfristig wich man auf die Kirche aus, damit alle, die gekommen waren, bleiben konnten.
Regelmäßig feierte die queere Community Gottesdienste mit Priestern, die sich dazu bereiterklärten – bis der Gemeinde nur ein Jahr nach Beginn ein Eucharistieverbot von der Bistumsleitung erteilt wurde. „Das hat so viele enttäuscht, dass die Hälfte der Gläubigen weggebrochen ist“, weiß Jan Baumann aus Erzählungen. Der 32-Jährige ist seit 2018 in der Queergemeinde engagiert, zudem Mitglied im Pfarreirat der Pfarrei St. Joseph Münster-Süd, deren Kirchenräume die Queergemeinde nutzt. Baumann ist froh, dass es queere Gläubige gab, die damals weitergemacht haben. „Sie haben sich nur fünf Monate an die Wortgottesdienste gehalten. Es fehlte ihnen einfach etwas und sie haben schnell Priester gefunden, die wieder mit ihnen die Eucharistie feierten.“ Bis heute findet an jedem zweiten Sonntag im Monat eine Messe statt, inzwischen in der Krypta der St.-Antonius-Kirche, mit wechselnden Priestern, darunter auch Münsters emeritierter Weihbischof Dieter Geerlings.
„Ich fühle mich dort angesprochen, weil ein wunderbarer Zusammenhang zwischen unserem queeren Leben und der Heiligen Schrift hergestellt wird“, beschreibt Mittmann. Auch wenn er und Baumann davon überzeugt sind, dass queere Menschen inzwischen von der Mehrheit der Gläubigen in Deutschland akzeptiert sind, halten sie Gottesdienste, zu denen besonders queere Menschen eingeladen sind, für unverzichtbar: „Wir haben alle unsere eigene Outing-Geschichte, die nicht selten auch mit der Kirche verbunden ist“, sagt Baumann. „Und wir leiden alle noch immer ein bisschen unter der Kirche.“ Die jüngste vatikanische Erlaubnis für Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare, die offiziell nur „wenige Sekunden“ dauern und nicht in einem Gottesdienst stattfinden dürfen, mache erneut deutlich: „Aus kirchlicher Sicht bleiben wir Menschen zweiter Klasse“, warnt der 32-Jährige vor sich wiederholenden Verletzungen.
Doch die beiden Männer bleiben optimistisch: „In den vergangenen drei Jahren hat die römisch-katholische Kirche insbesondere in Deutschland mit Blick auf queere Themen einen enormen Schritt nach vorne gemacht. Die Richtung stimmt“, sind sie sich mit Blick auf die Initiativen „Out in church“ und „#liebegewinnt“ sowie die Diskussionen rund um den Synodalen Weg einig. „Diesen Schwung müssen wir mitnehmen“, fordert Baumann, um die Inklusion queerer Menschen weiter zu verbessern. Und nicht nur derjenigen, ist es Mittmann wichtig zu betonen: „Es braucht die Gleichberechtigung für alle Menschen. Das beinhaltet Frauen, die Priesterinnen werden dürfen, queere Menschen, die die Weihe empfangen dürfen, und die freie Wahl der Lebensform für alle.“
„Liebe deinen Nächsten“ – diese Worte Jesu stehen für die beiden Männer mit im Zentrum ihres Glaubens: „Es geht um einen respektvollen, toleranten Umgang miteinander bei aller Verschiedenheit. Nur so kann jeder Mensch einen Platz in der Kirche finden, der das möchte, und so an diesem wunderbaren Glauben teilhaben.“
Die Queergemeinde Münster feiert ihr 25-jähriges Bestehen mit einem Gottesdienst am Samstag, 20. Januar, um 15 Uhr in der Überwasserkirche und einem anschließenden Festakt für geladene Gäste.