Scherbakowa: Mit Putin kein Frieden

, Bistum Münster

Ihre Antwort auf die Ausgangsfrage ist kurz und klar: „Nein!“ Einen Frieden mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kann es nach Ansicht von Prof. Dr. Irina Scherbakowa nicht geben. Die russische Friedensnobelpreisträgerin 2022 und Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ ging in ihrem Vortrag in der Reihe „DomGedanken“ am 6. September im münsterischen St.-Paulus-Dom noch einen Schritt weiter: Wer auf Verhandlungen statt auf militärische Unterstützung dränge, unterstütze den Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Köppen, Scherbakowa, Bischof Genn

Irina Scherbakowa hat bei den „DomGedanken“ gesprochen. Münsters Bischof Dr. Felix Genn (rechts) und Dompropst Hans-Bernd Köppen begrüßten sie auf dem Domplatz.

© Bistum Münster

Irina Scherbakowa rechnet nicht mit einem baldigen Ende des „verbrecherischen Krieges“ gegen die Ukraine. Vielmehr sieht die Historikerin den „Frieden in Europa so gefährdet wie schon seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr“. Der Angriff auf die Ukraine zeige: „Wir haben es hier mit einem unberechenbaren Regime zu tun“. Sie appellierte an Europa, die nukleare Gefahr sehr ernst zu nehmen. Zu ihrem Bedauern, fügte Scherbakowa hinzu, befürworte die offizielle russisch-orthodoxe Kirche den aggressiven Krieg gegen die Ukraine.

Putins historische Mythen und Verschwörungstheorien beeinflussten die russische Bevölkerung und trügen zur Akzeptanz des Krieges bei: „Die demokratischen Ideen von Frieden und Freiheit teilen in Russland nur wenige Menschen.“ Einfluss darauf nehme auch die allgegenwärtige Propaganda der staatlichen Medien.

Die Erfolge der Perestroika – der von Michail Gorbatschow 1986 eingeleiteten Modernisierung des totalitären Systems der Sowjetunion – seien wie vergessen. Der Eindruck, Russland habe nichts aus der Geschichte gelernt, lässt in Scherbakowa nach eigenen Worten das Gefühl von Verzweiflung aufkommen.

Die Referentin warnte davor, zu glauben, Putin sei in der Corona-Pandemie verrückt geworden: „Das ist ein großer Fehler.“ Der Angriff auf die Ukraine sei kein Anfall von Wahnsinn: „Ich bin absolut davon überzeugt, dass es die Logik des Regimes war, das Putin in 23 Jahren aufgebaut hat.“ Mit Sicherheit handele es sich um ein „paternalistisches, autokratisches System“ mit Zügen habe, die auch Putin zu eigen seien: Angst, Hass, absolute Gefühllosigkeit, Menschenverachtung. Zudem sei Korruption das Wesen seines Systems. Der massive Einsatz von Gewalt und Folter sei ein wichtiges Mittel für Putins Machterhalt. Die kriminelle Natur seiner Führungsriege richte sich gegen alle humanistischen Werte, erklärte Scherbakowa.

Die Friedensnobelpreisträgerin, die heute in Deutschland und Israel lebt, kritisierte Tendenzen, Putin territoriale Zugeständnisse zu machen. Der Verlust von Gebieten sei auch immer ein Verlust von Menschen: „Nur die Niederlage Russlands wird der Welt die Hoffnung auf Stabilität und Frieden zurückgeben.“

Dompropst Hans-Bernd Köppen dankte der Vortragsrednerin zum Abschluss für ihren Blick auf die Realität.

Die DomGedanken wurden von der „Capella Ludgeriana“ unter der Leitung von Domkapellmeister Alexander Lauer und Domorganist Thomas Schmitz musikalisch eingerahmt.

Nach dem Vortrag nutzte Münsters Bischof Dr. Felix Genn die Gelegenheit und begrüßte die Friedensnobelpreisträgerin auf dem Domplatz.

Gudrun Niewöhner