
Stefanie Tegeler
© Caritas für das Bistum Münster/Julian EilersWer in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt, stößt unweigerlich auf Debatten über Flucht und Migration. Was mich dabei irritiert: Schutzsuchende werden fast ausschließlich als Belastung oder Bedrohung dargestellt.
Ja, die Aufnahme vieler Menschen ist eine Herausforderung. Aber sie ist nicht die Ursache unserer Probleme. Diese liegt in jahrzehntelangen Versäumnissen: zu wenig bezahlbarer Wohnraum, zu geringe Investitionen in Bildung und Wohnungsbau, eine dauerhafte Unterfinanzierung der Kommunen. Geflüchtete sind nicht „die Krise“, sie machen nur sichtbarer, was längst schief liegt. Der Blick sollte sich also auf politische Strukturen und Verantwortlichkeiten richten.
Besonders absurd wird es, wenn Geflüchtete für den Rechtsruck verantwortlich gemacht werden. Als ließe sich der Rassismus dadurch besänftigen, dass weniger Menschen Schutz suchen. Diese Logik kehrt die Schuld um: Nicht Geflüchtete verursachen rassistische Weltbilder – sie werden deren Opfer. Studien zeigen: Ablehnung wächst dort, wo Angst geschürt und Verantwortung verschoben wird.
Dabei ist Migration kein Ausnahmefall, sondern Normalität. Die Welt, wie wir sie heute kennen, gäbe es nicht ohne Migration, Zuwanderung hat auch Deutschland schon immer geprägt. Vielfalt ist also keine Option, über die wir diskutieren können, sondern längst Realität. Entscheidend ist, ob wir sie gerecht und zukunftsfähig gestalten.
Die vergangenen Jahre haben uns alle gefordert: Krieg in Europa, Gewalt im Nahen Osten, Pandemie, Klimawandel, wirtschaftliche Unsicherheit. Aber gerade deshalb kommt es auf unsere Transformationsbereitschaft an: Können wir aus dem „Wir schaffen das“ einen Auftrag machen, statt uns in Abwehr und Schuldzuweisungen zu verlieren?
„Wir schaffen das“ ist für mich kein nostalgischer Spruch, sondern ein Arbeitsauftrag. Probleme verschwinden nicht, indem schutzsuchende Menschen gehen oder an Grenzen zurückgewiesen werden. Was uns wirklich weiterbringt, ist ein klarer Blick: Nicht die Geflüchteten sind die Ursache der Schwierigkeiten, sondern politische Versäumnisse und strukturelle Defizite, die wir endlich anpacken müssen. Das ist herausfordernd, aber alternativlos. Dazu gehört, Kommunen zu stärken, Wohnraum zu schaffen, Kitas und Schulen auszubauen – und demokratische Resilienz zu zeigen: Rassismus widersprechen, Desinformation benennen, Menschlichkeit verteidigen. Und schließlich zählt, was im Alltag passiert – Arbeitgebende, die faire Chancen eröffnen, Vereine, Kirchen und Nachbarschaften, die Türen öffnen und Begegnung ermöglichen.
Vieles davon geschieht bereits: Im Bistum Münster engagieren sich viele Ehrenamtliche – nicht nur, aber auch in Kirchengemeinden und bei der Caritas. Sie begleiten Menschen beim Ankommen, helfen im Alltag, bauen Brücken zwischen Menschen. Dieses Engagement ist von unschätzbarem Wert. Es zeigt, dass Solidarität längst gelebt wird – oft leise, unspektakulär und doch mit großer Wirkung.
Papst Leo XIV hat es vor wenigen Tagen so formuliert: „Brüder und Schwestern, diese Boote, die auf einen sicheren Hafen hoffen, in dem sie anlegen können, und diese Augen voller Angst und Hoffnung, die nach festem Boden suchen, wo sie landen können, dürfen und sollen nicht auf die Kälte der Gleichgültigkeit und auf das Stigma der Diskriminierung treffen!“
Wir sind keine Zaungäste. Wir können Einfluss nehmen: durch die Art, wie wir reden, handeln und uns zu Menschenwürde und Demokratie bekennen. Wenn wir Flucht und Migration nicht als Bedrohung begreifen, sondern als Teil einer lebendigen Gesellschaft, stärken wir nicht nur die, die Schutz suchen – wir stärken unsere eigene Zukunftsfähigkeit.
Übrigens: Ein sichtbares Zeichen dieser Solidarität wird in den kommenden Monaten vor der Petrikirche stehen: Die Glasarche, ein aus Glas und Holz gestaltetes Kunstobjekt, erinnert von Ende Oktober bis Anfang März an die gefährlichen Fluchtwege vieler Menschen – und daran, dass Menschlichkeit kein Luxus, sondern Auftrag ist.
