Trotz Armut keine Depression

, Bistum Münster

Zu einer Pastoralreise hat Bischof Dr. Felix Genn vom 16. bis 21. März das Bistum Choisica im Osten der peruanischen Hauptstadt Lima besucht. Die Diözese wird seit ihrer Gründung im Januar 1997 von Norbert Strotmann geleitet, der aus Riesenbeck im Kreis Steinfurt stammt. Bischof Genn nutzte den Besuch, um sich einen Eindruck von der Lebenswirklichkeit und von der pastoralen Situation in Choisica zu machen. Bevor es für den Bischof nach Brasilien weitergeht, fasst er seine wichtigsten Erfahrungen im Gespräch zusammen.

Bischof Dr. Felix Genn

Bischof Dr. Felix Genn nutzte seinen Aufenthalt im Bistum Choisica, um die Lebenswirklichkeit der Menschen und die pastorale Situation vor Ort kennenzulernen.

© Bistum Münster

Herr Bischof, Sie haben einige Tage in Huaycan im Osten Limas verbracht. Welche Eindrücke haben Sie besonders geprägt?

Genn: Die unglaublichen sozialen Spannungen haben mich fast zerrissen. Es gibt viele Menschen, die in für uns unvorstellbarer Armut leben; und zum anderen gibt es Stadtteile in Lima, wo eine auch in unserem Verständnis gehobene Mittelschicht lebt. Ich kann nicht verstehen, dass sich hier keine Lösung finden lässt, um diese soziale Ungleichheit zu überwinden. Und dennoch, und das hat mich sehr bewegt, strahlen viele Menschen eine hoffnungsvolle Zuversicht aus. Auch wenn die Menschen in Armut leben, scheinen sie nicht depressiv zu sein. Schließlich hat mich im Blick auf die Seelsorge sehr beeindruckt, dass es zwar bei den Priestern wie bei uns einen Mangel gibt. Durch eine intensive Einbeziehung von ehrenamtlichen Laien in der Seelsorge wird aber sichergestellt, dass der Glaube weitergegeben werden kann. 

Sie haben die Armut angesprochen, die ganz andere Dimensionen als bei uns in Deutschland hat...

Genn: Ja, und da bewegt mich vor allem die Hilflosigkeit, um das wirklich zu ändern. Ich stelle mir die Frage, was auch politisch geschehen müsste, um diese Armut zu überwinden. Insbesondere müsste hier sicher mit der Korruption aufgeräumt werden. Wenn ich aber diese Armut und die unwürdigen Bedingungen sehe, unter denen die Menschen leben, dann sage ich mir, dass ein Schrei durch die Welt gehen müsste, durch Peru und durch alle Länder, in denen es solche Formen von Armut gibt.

Sie haben bewusst Projekte besucht, mit denen versucht wird, gegen die Armut anzugehen...

Genn: Unter anderem war ich bei den Misioneras de la Cruz, das sind Ordensschwestern, die buchstäblich aus dem Nichts und in der Wüste eine Schule für 700 Kinder aus ärmsten Verhältnissen aufgebaut haben. Was für ein Glaubenszeugnis, was für ein starker Ausdruck eines Lebens aus der Beziehung zu Jesus Christus. Und die Schwestern beziehen in die Bildung nicht nur die Kinder, sondern auch deren Eltern ein. Das ist großartig. Ich denke dann aber etwa auch an eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Huancana Huasi. Wie liebevoll und kompetent hier Menschen mit Behinderungen gefördert werden, auch das ist ein beeindruckendes Glaubenszeugnis. Und, um noch ein drittes Beispiel zu nennen, erwähne ich die ambulante Klinik des Bistums. Menschen mit leichten Erkrankungen erhalten hier eine gute medizinische Behandlung. Auch das ist in Peru in dieser Form alles andere als selbstverständlich. Und, wenn Menschen nicht genug Geld für eine Behandlung haben, findet sich auch hier immer eine Lösung.

Kann denn diese Armut überhaupt überwunden werden?

Genn: Das weiß ich nicht. Was es aber sicher braucht, ist Hilfe zur Selbsthilfe, Bildung gerade für die unteren Schichten und den Appell an die eigenen Kräfte der Menschen.

Kommen wir zur pastoralen Situation, die Sieschon angesprochen haben. Was nehmen Sie aus Peru mit nach Hause?

Genn: Bischof Norbert Strotmann hat einen klaren strategischen pastoralen Plan. Er setzt konkrete Schwerpunkte auf die Feier der Gottesdienste, den Dienst am Nächsten, die Verkündigung der Frohen Botschaft und die Schaffung von Gemeinschaft. Er bespricht die Umsetzung der pastoralen Zielsetzungen, die sowohl für die Bistums- als auch für die Pfarreiebene gelten, einmal im Monat mit den Priestern der Diözese. Das sorgt für eine enges Miteinander und für Verbindlichkeit.

Sie haben auch mit vielen Priestern gesprochen. Was hat Sie hier besonders beeindruckt?

Genn: Ich habe die Priester immer gefragt: „Was macht Euch froh?“ Und die Antwort war wirklich immer: Die Menschen, der Kontakt mit den Menschen und das Gefühl, von den Menschen gebraucht zu werden.

Die Priester haben auch immer wieder die Notwendigkeit betont, ehrenamtlichen Laien wirkliche Verantwortung zu geben. Ein Modell auch für Deutschland?

Genn: Das könnte sicher ein Modell sein, vor allem in dem Sinne, dass hier in Peru etwa die Frage nach der Macht gar nicht gestellt wird. Der Priester muss nicht der sein, der das Sagen hat, sondern er kann auch der sein, der einfach mitarbeitet. Im Mittelpunkt steht immer die Frage des Miteinanders.

Was war Ihnen sonst bei Ihrem Aufenthalt in Lima noch wichtig?

Genn: Es war ganz bewusst eine Pastoralreise, bei der die Begegnungen mit Menschen im Mittelpunkt stehen sollten. Wichtig war es mir auch, an den Gräbern von Perus Nationalheiligen Rosa de Lima und Martin de Porres zu beten. Und Bischof Norbert Strotmann bin ich für seine einzigartige Gastfreundschaft, die uns den Besuch in dieser Form überhaupt ermöglicht hat, sehr dankbar.

Interview: Dr. Stephan Kronenburg