Umgang mit chronischen Leiden als Maßstab des Miteinanders

, Bistum Münster, Stadtdekanat Münster

Über die Herausforderungen, die chronische Krankheiten für Betroffene und für die sie Behandelnden mit sich bringen, haben sich am 21. Mai beim Ärztinnen- und Ärztetreffens des Bistums Münster rund 100 Teilnehmende ausgetauscht. Das Treffen in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster stand unter dem Titel „Weh spricht: vergeh!“

Sie bereiteten das Ärztinnen- und Ärztetreffen vor und gestalteten es: (von links) Antonio Autiero, Maria Kröger, Claudia Bozzaro, Antonius Hamers, Prof. Dr. Markus Schilgen, Dr. Peter Kleine Katthöfer und Prof. Dr. Gert Gabriels.

© Franz Hitze Haus

In seiner Begrüßung betonte Diözesanadministrator Dr. Antonius Hamers die Bedeutung der regelmäßigen Treffen, die das Bistum für verschiedenen Berufsgruppen veranstaltet. Von diesem Austausch könne die Kirche im Bistum Münster nur profitieren, „denn wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung, mit anderen Akteuren zu wirken und uns zu vernetzen.“

Die Einführung in das Thema übernahm die stellvertretende Akademiedirektorin Maria Kröger. Sie stellte als diesjährige Referentin Prof. Dr. Claudia Bozzaro vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster vor. 

Diese stellte einen kulturhistorischen Rückblick auf das Thema an den Anfang ihrer Ausführungen. Demnach habe bis ins 19. Jahrhundert – auch mangels medizinischer Möglichkeiten sowie aufgrund der Verzahnung von Wissenschaft und Religion – die Schmerzduldung statt der Schmerzlinderung im Mittelpunkt gestanden. Heute hätten viele das Grundgefühl eines Anrechts auf ein Leben ohne Leid und Schmerz. Dieser Wunsch stehe im Gegensatz zu der Zunahme chronischer Erkrankungen. Chronischer Schmerz sei bis heute ein weitgehend nicht entschlüsseltes Rätsel. 

Im Weiteren führte die Referentin das Leiden daran anhand der Darstellungen Betroffener aus. „Chronische Schmerzen sind totalisierende Erfahrungen, sie betreffen alle Bereiche der Existenz“, sagte sie. Chronisch Kranke erlebten sich als Geiseln ihres Körpers. Zudem würden die Beziehungen zu anderen Menschen beeinflusst. Die Betroffenen fragten sich nach dem Sinn ihres Leidens, viele fühlten sich von der Gesellschaft aus- und abgegrenzt. 

Im Hinblick auf den Umgang mit chronischen Erkrankungen stellte Bozzaro fest, dass Schmerz, Krankheit und Leid grundsätzlich zum menschlichen Leben gehören. „Die Kunst muss darin bestehen, vermeidbare Schmerzen zu verhindern und zu lindern und gleichzeitig eine Kultur der Akzeptanz zu etablieren“, sagte sie. Betroffene bräuchten eine stärkere Berücksichtigung der sozialen Aspekte der Erkrankung, Raum für existenzielle und spirituelle Fragen, ohne vereinnahmt zu werden, sowie ein fürsorgliches Netzwerk aus verschiedenen Professionen und gesellschaftlichen Akteuren. Die Kirche könne ein wesentlicher Teil solcher Netzwerke sein und müsse Angebote machen, stellte die Referentin fest. Abschließend betonte sie: „Der Umgang mit Leiden ist auch Grundlage und Maßstab unseres menschlichen Miteinanders. Wie und wozu uns das Leid der Anderen bewegt, sagt viel über unsere Gesellschaft aus.“

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum, die Prof. Dr. Antonio Autiero moderierte, vertieften die Anwesenden diese Aspekte. Außerdem ging es unter anderem um die Rolle und Situation der Ärztinnen und Ärzte sowie des privaten Umfelds und die Eigenverantwortung der Betroffenen.

Anke Lucht