Von Angstmachern, Angstbeißern und Angstträgern

, Stadtdekanat Münster

Die Behauptung, in Deutschland in einer Diktatur zu leben, oft paradoxerweiser gekoppelt mit der Verehrung autoritärer Staatenlenker: Solche und ähnliche Gedankengänge hat zum Auftakt der diesjährigen DomGedanken, die unter dem Leitwort „Demokratie – ein Auslaufmodell?“ stehen, im St.-Paulus-Dom Münster am 11. August die Schriftstellerin Herta Müller thematisiert. In eindringlichen Worten und sehr persönlich schilderte sie ihr Leben in der früheren kommunistischen Diktatur in Rumänien und den Wert, den Freiheit für sie hat. 

Herta Müller eröffnete am 11. August die diesjährige Auflage der Dom-Gedanken im St.-Paulus-Dom Münster.

© Bischöfliche Pressestelle / Jürgen Flatken

Die Literatur-Nobelpreisträgerin und heutige Berlinerin wurde in Rumänien geboren, ihre Eltern gehörten der deutschsprachigen Minderheit an. Nach ihrer Weigerung, mit der Geheimpolizei zusammenzuarbeiten, war Müller deren Schikanen ausgesetzt. In Münster schilderte sie das unter dem Titel „Die Zeit ist ein Dorf. Die Angst hat das kürzeste Gesicht“ sehr konkret und beschrieb anschaulich, welches Lebensgefühl damit einherging.

So habe der Geheimdienst mehrfach ihre Wohnung durchsucht und gezielt Spuren hinterlassen, um sie einzuschüchtern. Wegen Verleumdungen habe sie ihren Arbeitsplatz verloren und sei an der folgenden Arbeitsstelle isoliert worden. 1987 emigrierte Müller nach Deutschland. 

Eine Diktatur, verdeutlichte die 67-Jährige im unter Corona-Bedingungen voll besetzten Dom, bestehe nicht nur „aus Angstmachern und Angstbeißern, sondern auch aus Angstträgern, die die eigene Angst verwalten und von der der anderen profitieren.“ In einer Diktatur gebe es keine Individualität. „Eine Diktatur ist in allen Lebensbereichen die Austreibung jeder Schönheit, denn Schönheit ist vielfältig“, sagte Müller. Sie habe, auch wenn sie nach Verhören freigelassen worden sei, nur „eine leere Freiheit gefühlt, das bedeutet, dass man auf Schritt und Tritt weiß, was echte Freiheit wäre, weil man sie eben nicht hat.“

In den ersten Jahren nach der Diktatur habe man in Ostdeutschland und Osteuropa noch um den Wert der Freiheit gewusst. Jeder habe jetzt eine Rolle spielen, ohne Angst denken und reden dürfen. „Aber“, gab Müller zu bedenken, „mit den Freiheiten kam die eigene Verantwortung, und um die Verantwortung herum schleicht immer das eigene Risiko. Diese Mischung macht nervös, man will sich wieder anlehnen.“ Das „Bedürfnis nach Bevormundung“ habe sich wieder eingestellt, es sei ein Rückfall gewesen, mit dem niemand gerechnet habe. „Die Hinterlassenschaften der Diktaturen sind ein Bündel von Abhängigkeiten“, sagte Müller.

Deutlich stellte sie die Rolle des „größten Angstmachers von heute“, Wladimir Putin, dar, dem Populisten aus allen Ländern hinterherliefen. Ihr persönliches Fazit fiel eindeutig aus: „Als Knecht möchte ich nie mehr leben, und auch nicht ohne Wahlen.“ Nach 1989 habe sie sich nicht vorstellen können, dass die Demokratie in Deutschland wieder in Frage gestellt werden würde. „Unsere Demokratie dürfen wir nicht als selbstverständlich betrachten, sie könnte uns sonst allmählich abhanden kommen“, warnte Müller eindringlich.

Zu dem Abend hatte Dompropst Kurt Schulte im Namen des Domkapitels als Veranstalter die Teilnehmenden begrüßt. Domorganist Thomas Schmitz und Lutz Wagner am Cello begleiteten den Vortrag musikalisch.

Nach dem Auftakt setzen sich die DomGedanken 2021 am 18. August mit Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, dem Direktor der NRW School of Governance und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, zum Thema „Wählen und Regieren in der Coronakratie. Politologische Beobachtungen am Krisen-Rand“ fort. Thema am 25. August mit Prof. Dr. Hedwig Richter aus München, Professorin für Geschichte an der Universität der Bundeswehr, ist „Demokratie – eine Fiktion? Warum sich eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte lohnt“. Am 1. September referiert der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck über „Demokratie in Frage? Anmerkungen zur Diagnose und Therapie“. Zum Finale spricht am 8. September der luxemburgische Außenmi-nister Jean Asselborn über „Demokratie – das Fundament Europas. Anmerkungen zur Kraft freiheitlicher Staatsformen“.

Für die Termine am 18. und am 25. August sind noch einige wenige Plätze frei. Anmeldungen unter www.paulusdom.de sind nötig.

Alle Termine überträgt das Bistum Münster live im Internet unter www.bistum-muenster.de , www.paulusdom.de sowie auf der Facebook-Seite und auf dem Youtube-Kanal des Bistums Münster..