Keßler ist überzeugt, dass die Gemeinden anderer Muttersprache kein Hindernis sind, sondern vielmehr einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Integration der Zuwanderer leisten. Bei den Argumenten, die in dieser Debatte angeführt würden, müsse zwischen sachlichen und strategischen unterschieden werden. Die Ausdrücke „Parallelgesellschaft“ wie auch „Parallelkirche“ seien Teil eines strategischen Arguments, das den Anpassungsdruck auf Seiten der Zuwanderer erhöhen solle, um sich selbst nicht verändern zu müssen: „Um von einer Parallelgesellschaft reden zu können, bräuchte diese eine parallele Regierung, eigene Schulen, ein eigenes Gesundheitssystem usw. Eine Gemeinde anderer Muttersprache ist zu anderen Pfarreien nicht mehr und nicht weniger parallel als eine Pfarrei zur anderen“, sagt Keßler und fügt an: „Die Integration in die katholische Kirche geschieht durch die Taufe. Vor diesem Hintergrund erweist sich die zum Teil verbreitete innerkirchliche Integrationswut tatsächlich mehr als Ausdruck eines Assimilationsansinnens denn als Lust auf Integration unter dem Vorzeichen der Wechselseitigkeit.“
Der Experte hält es für wichtig, dass Menschen aus anderen Herkunftsländern sich unter ihresgleichen treffen: „Migrierte Menschen sind Menschen in Bewegung. Im Kontakt mit der zunächst fremden Umgebung entwickeln sie ihre Identität weiter, und es entsteht etwas Neues, das es so weder im Herkunftsland noch im Aufnahmeland gab.“ Anders als ein verbreitetes Klischee vermuten lasse, verharrten Zuwanderer also keineswegs in ihrer Herkunftsidentität: „Sie sitzen mit den anderen Zuwanderern in ihrer muttersprachlichen Gemeinde im selben Boot, weil sie die Erfahrung von Migration mit ihnen teilen.“ Dies ist laut Keßler ein Grund, dass sich Zuwanderer einer Sprachgruppe in der Regel besser oder wenigstens schneller mit Zuwanderern einer anderen Sprachgruppe verstehen als mit den nicht-migrierten Katholiken in den Territorialgemeinden.
Die Vielfalt, betont der Scalabrini-Missionar, dürfe nicht der Einheit geopfert werden: „Wer nicht bereit ist, sich in der Begegnung mit den anderen heilsam verändern zu lassen, der hat schlechte Karten mit Blick auf die Einheit in Vielfalt.“ Wichtigste Ressource für ein gelingendes Miteinander sei die Bereitschaft, gemeinsam mit den anderen einen Weg zu gehen, ohne vorab zu wissen, wohin dieser führt. Unterwegs würden letztlich alle zu MigrantInnen, die ihr sicheres Nest um der Beziehung willen verlassen. „Dieser Prozess dient dazu, dass auch die Etablierten oder Sesshaften die Erfahrung von Migration zu teilen beginnen“, erklärt Pater Keßler. An diesem Punkt stehe einem gelingenden Miteinander nichts mehr im Weg.
Weitere Informationen zur Veranstaltung gibt es unter www.franz-hitze-haus.de/info/21-517.
Gudrun Niewöhner / Ann-Christin Ladermann