„Wuchermieten für Bruchbuden“

, Kreisdekanat Steinfurt

Lengerichs Pfarrer Peter Kossen kennt in seiner Stadt ganze Straßenzüge, die zum Ghetto und „Verschiebebahnhof“ für Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Ost- und Südosteuropa geworden sind. „Das ist aber kein lokal begrenztes Problem. Überall im Land beobachten wir Vergleichbares“, sagt er und fügt an: „Bruchbuden werden vollgestopft mit Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Sie zahlen dafür Wuchermieten, weil sie nichts anderes bekommen.“ Im Sinne von Menschenwürde und Gerechtigkeit fordert Kossen deshalb ein Ende von Matratzenlager und Mietwucher und ein stärkeres Engagement von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für Integration, Teilhabe und menschwürdiges Wohnen.

Pfarrer Peter Kossen

Pfarrer Peter Kossen aus Lengerich prangert seit langem die Wohn- und Arbeitssituation von Migrantinnen und Migranten aus Rumänien und Bulgarien an.

© Bistum Münster

Aufgrund der allgemeinen Knappheit von günstigem Wohnraum hätten Arbeitsmigranten auf dem Wohnungsmarkt kaum eine Chance auf bezahlbare Wohnungen, berichtet Kossen weiter. Wuchermieten für unhygienische und unwürdige Behausungen seien die Folge. Der Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“, dessen Vorsitzender der Pfarrer ist, berät Betroffene. „In einem – nicht untypischen – Fall hat unser Rechtsanwalt herausgefunden, dass einem Ehepaar für das gleiche Zimmer in einer Wohnung, das sie mit anderen teilen mussten, jeweils 350 Euro vom Monatslohn abgezogen wurden.“ Schrottimmobilien an Arbeitsmigranten zu vermieten, das sei in Stadt und Land zum einträglichen Geschäft geworden, betont der Pfarrer.

„Der soziale Wohnungsbau fällt weitgehend aus und die Sozialbindung von Wohnungen läuft aus, ohne dass für Ersatz gesorgt wird – das Problem verschärft sich immer mehr“, schildert Kossen die Situation. Wer kaum Deutsch spreche, wenig Geld habe und niemanden kenne, habe praktisch keine Chance auf dem Wohnungsmarkt. Da bleibe nur das Leben im Ghetto mit der ständigen Angst, mit dem Job auch das Dach über dem Kopf zu verlieren und buchstäblich auf der Straße zu stehen. Denn nicht selten sei es die Leiharbeitsfirma selbst, die sich neben der Ausbeutung der Arbeitskräfte ein „Zubrot“ verdiene, indem sie Migranten in eigenen Immobilien unterbringe, die im schlechten Zustand seien. „Und dann reden wir über die Matratze im verschimmelten Mehrbettzimmer, die 400 Euro kostet und die man sich unter Umständen schichtweise mit anderen teilen muss: Keine Privatsphäre, kein Rückzugsraum, keine Ruhe“, weiß Kossen aus der Beratung von Arbeitsmigranten.

Behörden wüssten oft gar nicht, wie viele Arbeitsmigranten wie lange wo hausen. „Erst nach drei Monaten müssen sie angemeldet werden. Wir sehen vielerorts einen regelrechten Verschiebebahnhof, der eine Übersicht und Kontrolle praktisch unmöglich macht. Manchmal sind sie nur kurze Zeit in einer Unterkunft und müssen dann wieder wechseln, weil ihr Vermieter Kontrollen und Kontaktaufnahmen vermeiden will“, so Lengerichs Pfarrer. All dies verhindere die notwendige Regeneration nach schwersten Arbeiten und die ebenso notwendige Integration in die Gesellschaft. Parallelwelten seien die Folge, Abschottung und rechtsfreie Räume.

„Umso prekärer stellt es sich dar, wenn zunehmend ganze Familien von Arbeitsmigranten in solchen Behausungen leben müssen“, betont Kossen und nennt weitere Folgen: „Erzieherinnen erzählen mir von verstörten, verängstigten und geschwächten Kindern, die in solchen Verhältnissen leben und aufwachsen. Manche verschlafen fast den ganzen Kindergartentag, weil sie nachts in den Unterkünften Gewalt, Alkohol- und Drogenmissbrauch und auch Prostitution miterleben.“

Gudrun Niewöhner