Wünsche der Betroffenen ernst nehmen

, Bistum Münster

Wir sollten jede Aussage vermeiden, die als das Abschieben von Verantwortung verstanden werden kann, sondern uns zu unserer persönlichen wie institutionellen Verantwortung bekennen. Nicht die anderen hatten oder haben Verantwortung, sondern ich hatte und habe Verantwortung und bereue Fehler, die ich in dieser verantwortlichen Position gemacht habe.“ Das hat der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, am 11. Februar betont. In einem Interview mit dem Online-Magazin Kirche + Leben äußert sich der Bischof zu Einschätzungen von Betroffenen sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster, die vor kurzem zu einem ersten Vernetzungstreffen zusammengekommen waren.

Bischof Dr. Felix Genn

Bischof Dr. Felix Genn

© Bistum Münster

Der Bischof betont, dass er unbedingt mit den Betroffenen ins Gespräch kommen möchte: „Entscheidend ist, dass die Betroffenen das möchten. Mir persönlich sind solche Gespräche ein Anliegen. Ich habe auch schon viele solcher Gespräche geführt. Zugleich akzeptiere ich es, wenn es Betroffene gibt, die sagen, dass Sie mit mir als Verantwortung tragender Vertreter eines Systems, in dem ihnen schwerstes Leid zugefügt wurde, nicht sprechen möchten.“

Der Bischof erläutert gegenüber kirche-und-leben.de, warum das Bistum Münster anders als andere Bistümer keinen „Betroffenenbeirat“ einrichtet.  Bischof Genn: „Wir können nicht immer sagen, dass wir den Blick auf die Betroffenen richten und ihre Wünsche in den Mittelpunkt stellen, und dann errichten wir einen Betroffenenbeirat nach unseren Vorstellungen. Vielleicht möchten die Betroffenen das aber gar nicht oder eben ganz anders. Betroffene im Bistum Münster können für sich einen Weg suchen und finden, wie sie sich organisieren.“ Das Bistum unterstütze dies logistisch und finanziell, wenn die Betroffenen das wünschten.

Ebenso unabhängig vom Bistum wie die Betroffenenorganisation erfolge im Bistum Münster auch die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs, unterstreicht Bischof Genn: „Die Historikerkommission der Universität Münster, die den sexuellen Missbrauch im Bistum Münster untersucht, arbeitet in völliger Unabhängigkeit von uns. Sie hat freien Zugang zu allen Akten, die sie einsehen will. Sie wird wohl im Juni ihren Bericht vorlegen. Erst dann werde auch ich die Ergebnisse der Untersuchung erfahren.“ Er selbst sehe sich als Bischof von Münster in der Verantwortung, die Ursachen sexuellen Missbrauchs zu bekämpfen und konkrete Konsequenzen zu ziehen. „Die Ankündigung von Konsequenzen hat gar keinen Wert, wenn diese nicht auch gezogen werden“, macht der Bischof deutlich. Dabei reiche es aus seiner Sicht nicht, die Konsequenzen nur aus erwiesenen Fehlern oder sogenannten Pflichtverletzungen zu ziehen. Bischof Genn: „Die damit verbundene juristische Bewertung ist notwendig, aber unzureichend. Sollten wir an uns selbst – gerade als Christen – nicht viel strengere Maßstäbe anlegen? Was ist mit unserer Moral? Was ist mit unserer Haltung?“

Der Bischof zeigt sich in dem Gespräch mit dem Online-Magazin auch offen für eine seelsorgliche Begleitung Betroffener, wenn diese das wünschten: „Sexueller Missbrauch durch Priester und andere Vertreter der Kirche hat den Opfern körperlich und psychisch schwerste Verletzungen zugefügt. Er hat ihnen zudem oft auch den Glauben genommen: den Glauben an sich selbst, an andere Menschen und auch an Gott.“

Im Blick auf das Schuldbekenntnis des emeritierten Papst Benedikt XVI. unterstreicht der Bischof von Münster, dass er ihm dieses abnehme. „Hier spricht nun wirklich er selbst und nicht seine Berater. Das ist für mich sehr authentisch. Sein Bedauern und der Hinweis auf die übergroße Schuld sprechen dies aus.“ Zugleich machten die sehr kritischen Reaktionen von Betroffenen auf die Aussagen des emeritierten Papstes erneut deutlich: „Wir müssen bei allem was wir zu diesem Thema sagen und tun – und da beginne ich nicht bei Papst Benedikt, sondern bei Felix Genn – wirklich zuerst an die Betroffenen denken.“ 

In diesem Zusammenhang äußert sich der Bischof auch zur Kritik von Betroffenen an einer Predigt von Weihbischof Dr. Stefan Zekorn. Betroffene werfen ihm vor, in seiner Predigt an Mariä Lichtmess im Dom durch historische Einordnungen, Vergleiche und die Bezugnahme auf wissenschaftliche Erkenntnisse früherer Zeiten Schuld und Verantwortung früherer Bischöfe und Personalverantwortlicher zu relativieren. Der Bischof sagt, dass er diese Kritik sehr verstehe und „in der Tiefe nachvollziehen“ könne, obwohl er selbst nie so schweres Leid habe erfahren müssen. Vergleiche und historische Einordnungen könnten immer als Relativierungen von Verantwortung und Schuld verstanden werden. Bischof Genn: „Um es unmissverständlich zu sagen: Nicht psychiatrische Gutachter hatten die Verantwortung, wenn ein Missbrauchstäter weiter in der Seelsorge eingesetzt wurde, sondern die kirchlichen Verantwortungsträger, insbesondere die Bischöfe. Diese hatten, bei allem was wir wissen und was viele frühere Bischöfe heute selbst einräumen, die Opfer nicht im Blick. Das bleibt für mich nicht nur als Bischof, sondern einfach als Mensch mit moralischen Vorstellungen, unbegreiflich und unvorstellbar.“