Zuhause für infizierte Flüchtlingskinder

, Kreisdekanat Steinfurt

Zwei Sekunden höchstens, länger musste Margarethe Kismann nicht überlegen: „Für mich war sofort klar: Das machen wir.“ Ehemann Roman ging es genauso. Danach blieb der Erzieherin aus dem katholischen Familienzentrum St. Willibrord und dem gelernten Maurer nicht viel Zeit, um alle Pläne für die Tage vor und über Weihnachten zu verwerfen – und den Einzug von drei coronapositiven Flüchtlingskindern aus Nigeria, deren Eltern schwer erkrankt im Universitätsklinikum Münster behandelt wurden, vorzubereiten. Aber der Reihe nach...

Margarethe und Roman Kismann

Margarethe und Roman Kismann haben vor Weihnachten drei coronainfizierte Flüchtlingskinder auf Zeit bei sich aufgenommen – und sich so selbst angesteckt.

© Bistum Münster

Es war ihr letzter Urlaubstag, als morgens bei Margarethe Kismann das Telefon klingelte. Am andere Ende meldete sich eine Mitarbeiterin des münsterischen Netzwerks Pflegefamilien auf der dringenden Suche nach einer Familie, die kurzfristig drei Geschwister im Alter von vier, drei und einem Jahr aufnimmt. Das Trio war wie die Eltern mit Covid-19 infiziert und musste in häusliche Quarantäne. „Sämtliche Umstände und Vorgaben konnten uns nicht verschrecken“, erinnert sich das kinderlose Steinfurter Ehepaar. Sie sagten ja.

Als Allererstes musste jedoch die Kita-Leitung von St. Willibrord gefragt werden, schließlich sollte Margarethe Kismann eigentlich am Montag wieder zum Dienst in der Einrichtung an der Stegerwaldstraße erscheinen. Doch Verena Kroh zögerte nicht und gab ihr Okay: „Das bekommen wir im Team hin.“

Da die Kinder nicht viel an Kleidung und keine Spielsachen mitbringen würden, gab es einiges zu organisieren. Margarethe Kismann rief ihre Schwester und eine Freundin an. Beide brachten Wäschekörbe voll mit dem Notwendigsten vorbei. Darunter auch ein Bettchen, Decken und einen Hochstuhl. Aus dem Familienzentrum lieh sich die Erzieherin Puzzle und Bücher: „Wir brauchten ja etwas, womit wir Maryan und ihre zwei kleinen Brüder Winston und Joshua beschäftigen konnten.“ Ausflüge, selbst ein kurzer Spaziergang durch die Nachbarschaft, waren wegen der Isolation nicht möglich.

Zuletzt besorgte die 40-Jährige im Supermarkt noch schnell die wichtigsten Lebensmittel für die vorübergehend fünfköpfige Familie. Während Margarethe Kismann bei den Kindern bleiben wollte, sollte in den kommenden Tagen nur ihr Mann nach einem negativen Schnelltest das Haus verlassen – so die Absprache.

Am frühen Abend brachten Mitarbeiter des Coesfelder Jugendamtes, die nigerianische Familie lebt in Olfen, die Kinder nach Burgsteinfurt: „Sechs große Augen schauten uns schüchtern an.“ Margarethe Kismann wird diesen Moment nie vergessen: „Mir ging das Herz auf.“ Behutsam zeigte das Ehepaar den Kleinen ihr Zuhause auf Zeit.

In der ersten Nacht gab es für alle wenig Schlaf. Ganz langsam gewöhnten sich die Drei an die neue Umgebung. Mit der Mutter im Krankenhaus waren Margarethe Kismann und die Kinder per Facetime in engem Kontakt – auf Englisch: „Und wir haben Videos und Fotos geschickt.“

Das Corona-Virus zeigte bei den Kleinen kaum Symptome: „Sie hatten eine Schnoddernase, sonst nichts.“ Die Steinfurterin las ihnen Geschichten vor, sie malten zusammen bunte Bilder oder hüpften im Garten durch die frische Luft: „Maryan liebte es beim Kochen in den Töpfen zu rühren.“ Dafür war Zeit.

Eigentlich sollte das Geschwistertrio bis nach den Feiertagen bleiben. Dem eingeladenen Weihnachtsbesuch hatten die Kismanns deshalb längst abgesagt. Doch zum Glück ging es den Eltern schneller besser als erwartet. Ein bisschen wehmütig brachten die Burgsteinfurter die Kinder zurück: „Das war schon ein wenig traurig.“ Aber natürlich sollte die nigerianische Familie das Fest zusammen verbringen.

An Heiligabend kam es wie schon erwartet: „Unsere Tests waren positiv.“ Margarethe Kismann und ihr Mann hatten sich bei den Kindern angesteckt. Noch einmal Quarantäne. „Trotzdem haben wir unsere Entscheidung nicht bereut“, erklärt das Paar. Hinter ihnen liegen intensive Tage. „Wir würden es immer wieder so machen.“ Denn, betonen beide: „Das genau ist die Botschaft von Weihnachten: Menschen in Not nahe sein.“ Und diese Botschaft, fügen die Kismanns an, „sie gilt das ganze Jahr.“

Gudrun Niewöhner