„Zwischen Tafel und Toastbrot“

Einig waren sich am Ende alle: Reden und Diskussionen reichen nicht aus, es braucht auch konkrete Maßnahmen, die umgesetzt werden, um von Armut betroffene Menschen im Kreis Steinfurt zu unterstützen. Dafür, so ist Sozialpfarrer Peter Kossen aus Lengerich überzeugt, habe die katholische Kirche Infrastruktur und Ressourcen, vor allem, wenn es um alltägliche Dinge gehe. Kossen war einer von vier Teilnehmenden einer Podiumsrunde unter dem Titel „Zwischen Tafel und Toastbrot – Armut im Kreis Steinfurt“, zu dem die katholische Kreisdekantskonferenz Steinfurt am 11. Juni in die Kulturschmiede des Kulturzentrums GBS nach Greven eingeladen hatte. Außerdem mit dabei waren Anja Karliczek, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Tecklenburg, Tilman Fuchs, Sozialdezernent im Kreis Steinfurt, und Caritasvorstand Dieter Fühner aus Rheine. 

Diskutierten über Armut im Kreis Steinfurt (von links): Pfarrer Peter Kossen, Anja Karliczek, Moderatorin Carolin Kronenburg, Tilman Fuchs und Dieter Fühner.

© Bistum Münster

Carolin Kronenburg vom Diözesancaritasverband Münster, die die Veranstaltung moderierte, ließ zu Beginn ein Video der Poetry-Slamerin Ella Elia Anschein abspielen. Die junge Frau lebte als Kind und Jugendliche durch ihre familiäre Situation lange selbst in Armut. Sie machte mit berührenden, aber auch eindringlichen Worten hörbar, wie komplex das Thema und wie schwer der Umgang damit ist. 

Armut ziehe sich durch alle Altersgruppen, beschrieb Sozialdezernent Tilman Fuchs die Situation in den Kommunen des Kreises Steinfurt. Verbunden damit sei bei den Betroffenen fast immer ein Schamgefühl, benannte Anja Karliczek eine Hürde, die es für viele schwer mache, Hilfe anzunehmen. Die CDU-Politikerin plädierte dafür, die bürokratischen Hemmschwellen und Vorgaben in den verschiedenen Bereichen auf ein Minimum zu reduzieren. Den sozialen Wohnungsbau schloss die Bundestagsabgeordnete ausdrücklich mit ein. „Wir sind ein ausregulierter Staat – vieles braucht bei uns oft zu lange.“ Was früher vielleicht gut und richtig gewesen sei, sei durch den Wandel der Gesellschaft heute nicht selten kontraproduktiv.

„Armut ist vor allem ein strukturelles Problem“, erklärte Pfarrer Kossen. Seit vielen Jahren prangert der Priester die katastrophalen und menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen von Migrantinnen und Migranten gerade in der Fleischindustrie an. „Für mehr soziale Gerechtigkeit braucht es starke Tarifpartner“, so eine Forderung von Kossen. Und er ging noch weiter: „Wo Wildwest herrscht, muss der Staat eingreifen“, wandte er sich mit einem Appell an Wirtschaft und Politik.

Tilman Fuchs wies wiederholt darauf hin, dass allein Sachstandsberichte keine Lösung darstellen: „Es braucht Antworten.“ Und da sieht der Sozialdezernent die Verwaltung, aber auch die Politik in der Verantwortung: „Es braucht konkrete Handlungsempfehlungen.“

Dass in einem reichen Land wie Deutschland so viele Menschen auf die Versorgung mit Lebensmitteln durch die Tafeln angewiesen seien, sei ein Unding, betonte Caritasvorstand Fühner. Er wünschte sich Orte, an denen mit Betroffenen Programme entwickelt werden könnten, mit dem Ziel: „Dass jeder seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann.“

Marie-Luise Dierkes vom Vorstand der Kreisdekanatskonferenz, die zusammen mit ihrem Vorstandskollegen Ewald Brinker die Gäste begrüßt hatte, versprach den Teilnehmenden, dass die Katholiken im Kreis Steinfurt das Thema Armut weiter im Blick behalten werden – und nannte dafür unter anderem einen Grund: „Eine Gesellschaft, die Armut zulässt, muss sich schämen.“ Und noch etwas war Dierkes vor den Kommunalwahlen im Herbst wichtig: „Demokratische Zufriedenheit wächst von unten.“

Gudrun Niewöhner