Besonderer Rundgang schaut auf die Kehrseite der Mittelstandsgesellschaft

, Bistum Münster, Kreisdekanat Recklinghausen

Ein städtischer Abfalleimer in Münsters Einkaufszone, im Halbkreis davor gut zwei Dutzend aufmerksam zuhörende Katholikentagsteilnehmer: „An den Mülleimern der Stadt zeigt sich verdeckte Armut“, erklärt Ludger Ernsting. Früh morgens oder am Abend seien dies Orte, wo man auf die Armen der Wohlstandsgesellschaft treffe, auf der Suche nach Pfandflaschen oder etwas Essbarem: Menschen, denen man äußerlich nichts ansehe, deren Rente zu klein sei, die Hartz IV oder Grundsicherung bezögen oder Suchtkranke in chronischen Geldnöten.

Die Kreuzigungsgruppe von Bert Gerresheim an der Dom-Nordseite war eine der Stationen beim Stadtgang

Die Kreuzigungsgruppe von Bert Gerresheim an der Dom-Nordseite war eine der Stationen beim Stadtgang „Gespaltene Gesellschaft“ im Rahmen des Katholikentags, der von der Gastkirche Recklinghausen gestaltet wurde.

© Martin Wißmann

In den Mienen der Zuhörer spiegeln sich Betroffenheit, Mitleid und Betretenheit, bis Saxophonist Ludwig Aman den Spiritual „The kingdom of God“ anstimmt, der auf dem Weg zur einer anderen Station gesungen wird.

Den Stadtrundgang beim Katholikentag unter der Überschrift „Gespaltene Gesellschaft – Friede tut Not“ hat der City- und Sozialseelsorger Ernsting zusammen mit Pastoralreferentin Schwester Judith Kohorst und Gasthausrätin Birgit Drepper-Zöpfgen vorbereitet. Das Team von der Gastkirche Recklinghausen wählte zehn Stationen zwischen St.-Paulus-Dom, Clemenskirche und historischem Rathaus aus, auch um die Stadt „aus den Augen eines anderen“ zu sehen. Was dabei sichtbar werde, lasse sich in vielen Städten und Orten wiederfinden, betonten die Recklinghäuser.

„Herkömmliche Stadtführungen zeigen ja oft vor allem die Glanzseiten“, erläutert der Pfarrer. Das sei wichtig und wertvoll, aber eben nur ein Ausschnitt der Realität. „Die andere Seite der Mittelstandsgesellschaft wahrzunehmen, ist auch wichtig“, betont Ernsting, „Jesus hatte auch und vor allem die Armen im Blick.“
Und so führten die Recklinghäuser ihre Gäste zunächst im Domkreuzgang zu Ernst Barlachs Statue „Der Bettler“, um auf die soziale Spaltung der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Nächste Station war die Kreuzigungsgruppe von Bert Gerresheim an der Dom-Nordseite. Hier standen „beispielhafte Menschen aus der Region“ im Mittelpunkt, die sich zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Glauben heraus etwa für Kriegsverletzte oder Menschen mit Behinderung eingesetzt hatten.

In dieser Spannbreite zwischen Problemaufrissen und Lösungsansätzen ging es weiter. Beispielsweise zum Tor von Daniel Buren in der Domgasse mit Fokus auf die Folgen von Flucht und Abschottung, zum Turm von St. Lamberti mit Blick auf die sündige und prophetische Seite der Kirche oder zum Treffpunkt an der Clemenskirche als Hoffnungsschimmer für Menschen in sozialen Nöten.

„Das ist schon sehr interessant“, schilderte Bruno Ridder aus der Nähe von Gütersloh, „das ist ein neues Erlebnis, ich bin froh, dass ich mitgegangen bin.“ Ähnlich äußerte sich Romina Pinter aus Königswinter: „Ich wollte wissen, wo in Münster sich die gespaltene Gesellschaft entdecken lässt, ich war ja noch nie hier.“ Für Ulrike Lebert aus Bad Säckingen sind „Armut, Flucht, oder Streit wichtige Themen“, weshalb sie gerne mitgegangen sei – und es habe sich gelohnt.

Vor dem historischen Rathaus fand der Rundgang einen tröstlichen Ausgang, und zwar mit dem Gebet der Vereinten Nationen: „Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. Es liegt an uns, daraus einen Planeten zu machen, deren Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.“

Text: Martin Wißmann