Die Sorgen der Menschen ernst nehmen

, Bistum Münster

„Es lohnt sich, dafür zu arbeiten, die freiheitliche Demokratie, die uns geschenkt ist, immer wieder neu zu erringen.“ Das hat der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, am 7. Juli in Münster betont. Angesichts einer „geradezu beängstigenden“ Situation, in der sich die Welt befände, müssten sich nicht nur Politikerinnen und Politiker für den Erhalt der Demokratie einsetzen, sondern alle Bürgerinnen und Bürger. Sonst drohe die Gefahr, „Extremen zu verfallen“, warnte der Bischof im St.-Paulus-Dom. Dort feierte er die Messe aus Anlass der Großen Prozession. Zuvor waren die Gläubigen von der Marktkirche St. Lamberti durch die Innenstadt über den Prinzipalmarkt zum Dom gezogen. Die Prozession stand unter dem biblischen Leitwort aus dem Buch des Propheten Ezechiel „…und er stellte mich auf meine Füße“.

In vielen Ländern, so sagte der Bischof, herrsche Krieg. Mögliche Wahlausgänge in den USA und Frankreich seien beängstigend. Zudem sei, wie es der Bundespräsident vor kurzem gesagt habe, die europäische Idee noch nie so gefährdet gewesen wie heute. In dieser Situation ist die Ausgrenzung von Personen, die linken oder rechten Extremen folgen, für den Bischof keine Lösung. Stattdessen warb er für „das Hineingehen in den Diskurs und das Gespräch, um die Nöte und Sorgen der Menschen ernst zu nehmen“. 

Zwar sei es sicher schwerer, zu argumentieren, als sich einfach abzugrenzen. Aber Christinnen und Christen, die an die Botschaft der Liebe und Versöhnung Jesu Christi glaubten, könnten auch in der aktuellen bedrängenden Situation „Menschen der Hoffnung“ sein und andere ermutigen, nicht zu resignieren. Die Große Prozession, so sagte der Bischof, sei Gebet und zugleich „auch Buße in dem Sinn, dass sie uns auffordert umzukehren und nicht zu resignieren, um die aufzurichten, die aus Resignation zu Extremen neigen, weil sie davon die einzige Perspektive erwarten, aber nicht eine Botschaft der tragenden Hoffnung erhalten, sondern größere Zerstörung und Friedlosigkeit“. 

Der Bischof betonte: „Das ist unsere Sendung als Kirche in einer guten geistlichen Unterscheidung dazu beizutragen, dass sich kirchlich, politisch und gesellschaftlich Religion verwirklichen kann, dass eine Menschheit möglich ist.“ Er appellierte an die Gläubigen: „Nehmen wir diese Aufgabe wahr in unserer Gegenwart, damit die nächste Generation sagen kann: Wahrhaftig, sie waren damals wie Propheten, trotz schwierigster Probleme uns eine Welt zu hinterlassen, die uns hilft zu leben und Erde gut und schön zu gestalten.“ Zugleich warb er dafür: „Beobachten wir genau, was gesagt wird, damit später keiner sagen kann, er habe es nicht gewusst!“

Mit dem Bischof zelebrierten Dompropst Hans-Bernd Köppen und Domkapitular André Sühling in Vertretung für den Stadtdechanten sowie als Vertreter für die Gemeinden anderer Muttersprache Pfarrer Alejandro Serrano Palacios von der spanischsprachigen Gemeinde. Die musikalische Gestaltung im Gottesdienst und bei der Prozession übernahmen Sänger und Sängerinnen der Schola des Priesterseminars, der Projektchor St. Clemens und das Blechbläserensemble „blechgewand(t)“.

Der Brauch der Großen Prozession reicht zurück bis ins Jahr 1382. Damals starben in Münster mehr als 8.000 Menschen an der Pest. Im Jahr darauf verwüstete ein Großbrand weite Stadtgebiete. Seitdem ziehen aufgrund eines damaligen Gelöbnisses jedes Jahr Gläubige mit dem Allerheiligsten zu einer überpfarrlichen Buß- und Bittprozession durch die Altstadt. Aufgrund dieses Ursprungs wird eine Nachbildung des historischen Pestkreuzes, dessen Original im Stephanschor des Doms hängt, der Prozession vorausgetragen.

Dr. Stephan Kronenburg