DomGedanken thematisieren zum Abschluss Völkerrecht

, Bistum Münster

Mit dem Angriff gegen die Ukraine hat Russland eindeutig gegen das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Verbot militärischer Gewalt und damit gegen einen Eckpfeiler des Völkerrechts verstoßen – davon zeigte sich Prof. Dr. Mehrdad Payandeh am 7. September im St.-Paulus-Dom Münster überzeugt. Warum und unter welchen Voraussetzungen das Völkerrecht dennoch Wirkung entfalten kann, obwohl es diesen Verstoß nicht verhinderte, das erläuterte der Professor für Internationales Recht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Bucerius Law School, Hamburg, im Rahmen der DomGedanken. Unter dem Titel „Über die ordnende Kraft des Völkerrechts“ fügte sich sein differenzierter Vortrag in das diesjährige Oberthema der Vortragsreihe „Wem gehört die Welt?“ ein.

Der Referent legte dar, dass das Völkerrecht im Hinblick auf den Ukraine-Krieg durchaus praktische Relevanz habe. „Entscheidend ist nicht, ob Rechtsnormen eingehalten werden, sondern welche Konsequenzen ihr Bruch hat“, sagte er. Den russischen Angriff hätten etwa die Generalversammlung der Vereinten Nationen, der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klar verurteilt. Payandeh wies zudem auf die gegen Russland verhängten Sanktionen hin. Vor diesem Hintergrund seien beispielsweise Maßnahmen gegen russische Regierungsmitgliede und Militärs ebenso möglich wie der Erweiterung des russischen Staatsgebiets durch militärische Annexion eine klare Absage erteilt worden sei. Zudem hätten die Verurteilungen den Handlungsspielraum von Staaten etwa für Waffenlieferungen vergrößert. „Von einem Zusammenbruch der internationalen Ordnung lässt sich nicht sprechen“, folgerte Payandeh.

Er relativierte den Befund, der russische Angriff stelle eine Zeitenwende dar. „Die Geschichte des Gewaltverbots und seiner Missachtung war stets ambivalent“, sagte er, „und wie auf den Bruch des Völkerrechts reagiert wird, ist oft eine Frage der politischen Opportunität.“ Es stehe außer Frage, dass der russische Überfall auf die Ukraine ein besonders schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht sei. Zur ganzen Wahrheit gehöre aber, dass es beileibe nicht der erste sei, stellte Payandeh unter Nennung von Beispielen fest.

Abschließend stellte der Referent grundsätzliche Überlegungen an, wie Völkerrecht und das darin enthaltene Gewaltverbot gestärkt werden können. Zentrale Voraussetzung dafür sei zum einen Glaubwürdigkeit. Staaten, die Völkerrechtsverstöße anprangern, müssten ihrerseits das Recht einhalten. Leider könnten dies auch die westlichen Staaten nicht vollständig von sich behaupten. Diesen Widerspruch instrumentalisierten Staaten wie Russland.

Zum Zweiten sei Kohärenz nötig, ein konsequentes Vorgehen gegen Verstöße. „Das schwächt die Aggressoren und beugt einer Aufweichung des Völkerrechts vor“, sagte Payandeh. Schließlich gelte es zum Dritten, passende politische Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei gehe es im Kern um den Umgang mit autoritären Staaten, für den es kein Patenrezept gebe. Wichtig seien eine werteorientierte Außenpolitik und das Bewusstsein, dass diese auch etwas kosten könne. „Wenn dieser Zusammenhang von politischen Entscheidungsträgern benannt wird und sie für dessen Akzeptanz werben, dann wäre das eine echte Zeitenwende, die dem Völkerrecht zu neuer Bedeutung verhilft“, sagte Payandeh abschließend.

Im Namen des Domkapitels dankte Dompfarrer Hans-Bernd Köppen dem Referenten für seine konkreten und eine Perspektive aufzeigenden Gedanken. Die musikalische Gestaltung dieses letzten Abends der Domgedanken 2022 lag bei Jazz Force One, dem Jazzensemble der Westfälischen Schule für Musik in Münster.

Anke Lucht

Bildunterschrift: Wie dem Völkerrecht zu neuer Bedeutung verholfen werden kann, darüber sprach Prof. Dr. Mehrdad Payandeh zum Finale der DomGedanken 2022. Foto: Bischöfliche Pressestelle / Simon Kaiser