Dr. Bernhard Frings stellte Missbrauchsstudie in Datteln vor

, Bistum Münster, Kreisdekanat Recklinghausen

Zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung hatte die Pfarrei St. Amandus in Datteln eingeladen. Im Mittelpunkt stand die Mitte Juni von unabhängigen Historikern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster herausgegebenen Studie unter dem Titel „Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche – Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945“. „Wie gehen wir mit den Ergebnissen, insbesondere mit dem Handeln unseres ehemaligen Bischofs Reinhard Lettmann und damit auch mit seinem Andenken in Datteln, um? Schon länger beschäftigen wir uns in der Pfarrei mit diesem Thema“, erklärte zu Beginn vor rund 50 Teilnehmenden Heinrich Plaßmann, Pfarrer in St. Amandus. Bereits seit vier Jahren, als die Vertuschungsbemühungen und Versetzungspraxis des 2013 verstorbenen Bischofs im Missbrauchsfall des Priesters Heinz Pottbäcker bekannt wurden, befasst sich eine kleine Gruppe aus dem Pfarreirat mit der Aufarbeitung in der Pfarrei, in der Lettmann aufgewachsen und mit der er immer sehr verbunden war. Vor drei Jahren entschied die Gemeinde nach zahlreichen Beratungen, das Pfarrheim umzubenennen. So wurde aus dem Lettmann-Haus das Amandus-Forum. 

Die beteiligten stehen an einem Tisch und unterhalten sich.

Pfarrer Heinrich Plaßmann, Stefan Feldhaus vom Pfarreirat, Referent Dr. Bernhard Frings, Moderator Prof. Björn Enno Hermans, Sebastian Speckbrock vom Kirchenvorstand und Georg Teschers ebenfalls vom Pfarreirat (v.l.) tauschten sich nach der Informationsveranstaltung aus.

© Bistum Münster

An diesem Abend verdeutlichte Referent Dr. Bernhard Frings, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Missbrauchsstudie mitgearbeitet hat, besonders an der Fallgeschichte von Pottbäcker die Rolle Lettmanns. Immer wieder sei der 1964 zum Priester geweihte und 2007 verstorbene Pottbäcker an seinen Einsatzstellen gegenüber Kindern und Jugendlichen übergriffig geworden. „Allein von 1967 bis 1983 ließen sich konkrete Hinweise auf 21 Betroffene finden, wobei von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen ist“, erläuterte der Historiker. Eine Suspendierung schien von den Bistumsverantwortlichen nie in Erwägung gezogen worden zu sein. Auch habe niemand den betroffenen Kindern beigestanden. Für das aus heutiger Sicht unverständliche Agieren der Personalverantwortlichen des Bistums, aber auch das Verhalten der sogenannten Bystander, Menschen aus den Gemeinden oder auch Familienangehörige, die von den Missbrauchstaten wussten, ordnete der Wissenschaftlicher unter verschiedenen Aspekten ein.

Dazu gehöre beispielsweise ein überhöhtes Priesterbild, aber ebenso die Solidarität unter Mitbrüdern. Zudem sei es darum gegangen, keinen Skandal zu provozieren. „Stets ging es bei diesem Agieren um den Schutz der Institution Kirche“, hielt Frings fest. Des Weiteren spiele die Tabuisierung und Verdrängung von Sexualität bis in die Gegenwart eine entscheidende Rolle für die Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch. Das pädosexuelle Verhaltens Pottbäckers stünde auch für ein System organisierter Unverantwortlichkeit, das den Umgang Lettmanns mit Fällen sexuellem Missbrauchs gekennzeichnet habe. „Der Begriff stammt aus der Soziologie und beschreibt, wie Verantwortliche bei Katastrophen durch fehlende Deutlichkeit in der Kommunikation, den Dienstvorschriften und der Zuständigkeiten die eigene Verantwortung zu minimieren suchen. Der Begriff ist auf kirchliche Zusammenhänge übertragbar“, erläuterte Frings. Das bedeute, es habe unter Lettmann keine klaren Handlungsanweisungen zum Umgang mit Beschuldigungen gegeben, sondern vielmehr die Maxime bestanden, „zum Wohle aller“ zu handeln. Lettmann habe also Entscheidungen vorgegeben, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen und ohne die Umsetzung zu kontrollieren.

In der anschließenden Frage- und Diskussionsrunde, die von Prof. Björn Enno Hermans moderiert wurde, meldeten sich einige Teilnehmende zu Wort. So wurde gefragt, wie die Bistumsleitung die Arbeit der Historiker unterstützt habe. „Wir hatten vollen Zugang zu den Akten, auch zum bischöflichen Geheimarchiv, und konnten selbstständig entscheiden“, erklärte Frings. Auf die Frage, warum einige Täter nicht beim Namen genannt wurden, sagte er: „Es ist schwierig, wann ein Fall als klar gilt. Wir haben uns von einem Anwalt beraten lassen. Ich kann aber Betroffene verstehen, die sich wünschen, dass ihr Täter genannt wird.“ Ulrich Kroppmann, gebürtiger Dattelner und Pfarrer in Bocholt, lobte die Studie. „Jetzt geht es um Aufklärung und Aufarbeitung sowohl auf diözesaner als auch auf örtlicher Ebene“, sagte er. Ein Teilnehmer vermutete, dass sich nicht ändern werde, weder beim Amtsverständnis noch bei der Sexualmoral der katholischen Kirche. Er sei sehr pessimistisch. „Ich finde es erschreckend, dass es scheinbar keinerlei Empathie für die Opfer gab. Sie waren über Jahrzehnte kaum sprachfähig oder wurden zum Schweigen verpflichtet“, reagierte Plaßmann auf den Bericht. Gemeindemitglied Marlies Woltering sieht ebenso ein schreckliches Versagen im Umgang mit dem Thema Missbrauch. „Aber ich glaube, dass jeder einzelne daran mitwirken kann, dass sich etwas ändert“, meldete sie sich zu Wort.  

Zum Abschluss bedankte sich Stefan Feldhaus vom Pfarreirat bei allen Beteiligten. „Es ist ein schwieriges Thema. Das ist uns allen bewusst“, sagte er und fügte hinzu: „Wir wünschen uns eine weitere Aufklärung.“

Michaela Kiepe