Plädoyer für den Glauben

, Bistum Münster

Nicht nur Politik und Gesellschaft erlebten die von Bundeskanzler Olaf Scholz wiederholt verkündete Zeitenwende. Auch die katholische Kirche stecke mitten in selbiger. Das erklärte Prof. Dr. Thomas Sternberg am 22. März im St.-Paulus-Dom in Münster. Der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) sprach im Rahmen der Geistlichen Themenabende, die in diesem Jahr unter der Überschrift „Umkehr und Erneuerung“ stehen. Sternberg legte den Fokus auf „Neue Krisen, neue Lösungen: Kirchenreform“.

Prof. Dr. Thomas Sternberg

Prof. Dr. Thomas Sternberg sprach beim Geistlichen Themenabend in Münsters St.-Paulus-Dom.

© Bistum Münster

Der Münsteraner, der als Mitglied des ZdK an den Versammlungen zum Reformprozess „Synodaler Weg“ teilgenommen hat, konkretisierte den Begriff der „kirchlichen Zeitenwende“ gleich nach der Begrüßung durch Gastgeber Dompropst Hans-Bernd Köppen: Noch nie habe es so viele Austritte aus der katholischen Kirche gegeben wie aktuell. „Die Austritte beschränken sich nicht mehr wie früher auf die, die noch nie einen engeren Kontakt zur Kirche hatten, sondern greifen bis in den Kern unserer Gemeinden“, führte Sternberg aus, „früher musste man sich rechtfertigen, wenn man nicht zur Kirche gehörte, heute scheint sich das umgekehrt zu haben.“

Das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit reduziere sich auf ein Thema. „Und da sind wir bei dem entscheidenden Bruch im Vertrauen zur Kirche, beim großen Glaubwürdigkeitsverlust: Die Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker.“ Die ausgelöste Erschütterung sei gar nicht dramatisch genug zu beschreiben. Nicht zuletzt dies sei zum Zeichen der kirchlichen Zeitenwende geworden. Der Missbrauch sei der Tropfen gewesen, der ein Fass zum Überlaufen gebracht habe. Die unmittelbare Antwort darauf sei der „Synodale Weg“.

Dieser war aus Sternbergs Sicht ein großer Erfolg: „Das wichtigste Zeichen, das wir in diesem Prozess gegeben haben: Alle sind gewillt, die systemischen Faktoren, die Missbrauch in der Kirche begünstigen, in Reformen anzugehen.“ Zudem habe man gezeigt: „Synodalität ist katholisch möglich.“ Trotzdem sieht der ehemalige ZdK-Präsident weiteren Handlungsbedarf: „Wir haben wichtige Fragen der kirchlichen Ordnung und Positionen verhandelt, ganz viele Fragen fehlen aber noch.“

Sternberg wehrt sich gegen Vorwürfe, die katholische Kirche in Deutschland löse sich mit einem Alleingang von der Weltkirche: „Wir geben mit dem Reformprozess ein Zeichen zum Thema Synodalität.“ Katholiken in anderen Ländern hätten ähnliche Fragen.

Weg von der Situation der katholischen Kirche allgemein lenkte Sternberg den Blick auf die Pfarreiebene und übte Kritik an der geplanten Gründung Pastoraler Räume im Bistum Münster: „Wir erleben gerade den Zusammenbruch der Sozialgestalt unserer Kirche.“ Dies sei auch eine Folge des sich zuspitzenden Priestermangels. Unüberschaubare Einheiten überforderten die Gläubigen: „Wir brauchen vor Ort die Gemeinschaft, wir brauchen die Menschen, die Zeugnis ihres Glaubens geben.“

Künftig werde es noch stärker auf die Laien ankommen, dass sie sich ermächtigten, ihre Kirche selbst zu gestalten: „Wir dürfen nicht auf die Hauptamtliche warten, die wird es nicht geben. Schon gar keine Priester“, sagte Sternberg. Damit wollte er kein düsteres Bild der Kirche in Deutschland malen, vielmehr ermutigte er die Laien: „Durch Taufe und Firmung sind wir alle zur Priesterschaft berufen.“

Es brauche die mündigen Laien in letztverantwortlicher Position. Sie seien dann nicht mehr Helfer des Klerus, sondern  selbstständige und selbstbewusste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Was sie tun, das geschieht, was sie nicht tun, geschieht nicht!“, fasste Sternberg zusammen.

Bei allen notwendigen strukturellen Veränderungen beschäftigt Sternberg der Bedeutungsverlust des Glaubens als Trostquelle in schwierigen Zeiten. Das habe sich in der Corona-Pandemie gezeigt. Die Religion sei laut einer Bertelsmann-Studie hier in dieser Hinsicht ein nachgeordnetes System. Laut dieser Studie habe die Religion bei der Bewältigung der Corona-Krise für etwa 33 Prozent der Deutschen eine Rolle gespielt. Die große Mehrheit hingegen habe eher auf Familie, Wissenschaft und Nachbarschaft  vertraut. Dass Religion in Krisenzeiten über die gläubigen Menschen hinaus nur eine untergeordnete Rolle habe, liegt nach Einschätzung der Wissenschaftler an einer zunehmend weltlicher gewordenen Gesellschaft: „Um erfahren zu können, dass der Glaube hilfreich ist, muss man ihn bereits angenommen und verinnerlicht haben“, zitierte Sternberg. Er ergänzte: „Deshalb wird es wichtig bleiben, Kinder zum Glauben hinzuführen.“ Dazu brauche es die Kirche.

Am Ende seines leidenschaftlichen Plädoyers für den Glauben erklärte Sternberg: „Ich bin und bleibe katholisch. In ihrer zeitbedingten Erscheinungsform, mit all ihren Beulen und all ihren Schönheiten, ich liebe diese Kirche.“

Sternbergs Ausführungen wurden musikalisch von Domorganist Thomas Schmitz begleitet.

Den Abschluss der Geistlichen Themenabende bildet am 29. März der Beitrag von Patrick Roth zum Thema „Lebenswandel: Neue Sprache, neues Licht“. Der Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller liest aus seinem Roman „Sunrise. Das Buch Joseph“. Beginn ist um 19.30 Uhr.

Am letzten Mittwoch in der Fastenzeit, 5. April, wird im Dom die Düstere Mette gefeiert.

Gudrun Niewöhner