Mehr Bildungsgerechtigkeit nach Corona

, Bistum Münster

Distanz- und Wechselunterricht, Schulen, die von einem auf den anderen Tag geschlossen waren: Junge Menschen mussten durch die Corona-Pandemie gravierende Einschränkungen in Kauf nehmen und haben nicht selten mit Lernrückständen, psychischen und gesundheitlichen Belastungen zu kämpfen. Mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Schülerinnen und Schüler und der Frage, wie Schulen zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen können, hat sich das 39. Münstersche Gespräch zur Pädagogik beschäftigt. Auf Einladung der Hauptabteilung Schule und Erziehung im Bistum Münster und in Kooperation mit der Akademie Franz Hitze Haus, dem Institut für Lehrerfortbildung und dem Landeskompetenzzentrum für Individuelle Förderung diskutierten 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwei Tage lang darüber, wie ein mögliches Aufholen nach Corona gestaltet werden kann.

Aladin El-Mafaalani (rechts) und Anne Sliwka, die digital zugeschaltet war (Leinwand), diskutierten, moderiert von Paul Platzbecker vom Institut für Lehrerfortbildung, über eine Bildungsgerechtigkeit nach Corona.

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Hauptabteilungsleiter Dr. William Middendorf begrüßte die Teilnehmenden und Mitwirkenden zu Beginn und benannte die durch die Pandemie entstandenen Schwierigkeiten. „Das fachliche Lernen hat, nach allem was wir aus empirischen Studien wissen, besonders während des Distanzlernens gelitten. Die effektive Lernzeit hat sich deutlich verringert“, fasste er zusammen. Zu hinterfragen seien auch die Auswirkungen auf die Entwicklung im psycho-sozialen Bereich, führte Middendorf an und fragte nach der Verteilung dieser Auswirkungen: „Gibt es Gruppen, die stärker als andere betroffen sind? Und wenn ja, worauf ist dies zurückzuführen?“ 

Damit gab er ab an Professor Dr. Christian Reintjes von der Universität Osnabrück, der die Aussagen Middendorfs bestätigte. Eindrucksvoll zeigte er auf, dass viele Kinder und Jugendliche nicht nur Lernrückstände haben, sondern auch in ihren sozialen Beziehungen eingeschränkt waren. Dies sei nicht nur empirisch belegt, sondern zeige sich auch im Verhalten von Kindern und Jugendlichen in der konkreten Schulpraxis, wie die Diskussion bestätigte. Reintjes machte deutlich, dass Kinder aus eher bildungsfernen Milieus und Kinder mit Migrationshintergrund stärker von negativ Auswirkungen betroffen sind als andere Gruppen.

Warum verschiedene Schülergruppen in unterschiedlichem Ausmaß von schulischen Bildungsangeboten profitieren und worauf dies zurückzuführen ist, diesen Fragen ging Professor Dr. Kai Maaz vom DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation nach. Schulische Bildungsangebote würden derzeit zu wenig den besonderen Unterstützungsbedarf von Kindern aus sozial weniger begünstigten Familien berücksichtigen. Hier sei es geboten, zusätzliche Ressourcen, zum Beispiel von außerschulischen Bildungsanbietern, nutzbar zu machen. Zudem sei das Verhalten der Lehrkräfte entscheidend. Diese müssten erkennen, welche Kinder zuhause nicht die nötige Unterstützung erhielten und professionell mit adaptierten Förderangebote reagieren. In einer Reihe von Arbeitskreisen wurden „Good-practice-Beispiele“ aus Schulen vorgestellt, die gelungene Projekte, Ideen und Initiativen zum Aufholen nach Corona zeigten.

Aladin El-Mafaalani sprach sich für eine Entlastung der Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams und einen Ausbau der Elternarbeit aus.

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Am zweiten Tag erläuterte Professorin Dr. Anne Sliwka von der Universität Heidelberg coronabedingte Entwicklungen in ausländischen Schulsystemen und Professor Dr. Aladin El-Mafaalani von der Universität Osnabrück zeigte Möglichkeiten auf, wie mehr Bildungsgerechtigkeit durch die Zusammenarbeit von Schule, Sozialarbeit und Jugendhilfe erreicht werden kann. 

In der Abschlussdiskussion, in der die beiden Referenten auf Fragen der Teilnehmenden eingingen, sprach sich El-Mafaalani für eine Entlastung der Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams und einen Ausbau der Elternarbeit aus, um die Situation der Schüler zuhause miteinbeziehen zu können. „Ich wünsche mir ein System, in dem es anlasslos ein wechselseitiges Verständnis von Eltern und Lehrkräften gibt, was voneinander erwartet und was geleistet werden kann“, erklärte der Soziologe. Nur so könne soziale Ungleichheit in der Schule wirksam bekämpft werden, betonte El-Mafaalani, der gleichzeitig mit Blick auf einen Zustrom ukrainischer Flüchtlingskinder vor einem anhaltenden Krisenmodus im Schulbereich warnte. 

Anne Sliwka stellte Kooperation als Schlüsselwort heraus und machte darauf aufmerksam, dass sich guter Unterricht durch eine gemeinsame Sprache, gemeinsam verfolgte Ziele und über die Ko-Konstruktion, also den gemeinsamen Aufbau neuer Konzepte, auszeichne. „Im schulischen Bereich gibt es so viele Baustellen, die man nicht mal eben so in den Griff bekommt und schon gar nicht Lehrkräfte alleine“, sagte Sliwka. Eine Ko-Konstruktion, also Lernen durch Zusammenarbeit, ein System, das besonders in Kanada hohen Zuspruch findet, würde die Lehrkräfte entlasten und zu einer höheren Arbeitszufriedenheit führen. „Davon profitieren Schüler und Lehrkräfte“, betonte sie. 

Ann-Christin Ladermann