Podiumsgespräch am Bischöflichen Overberg-Kolleg

, Stadtdekanat Münster

Etwas mehr als einen Monat ist es her, dass der russische Präsident Wladimir Putin den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine befohlen hat. Seitdem richtet auch das Overberg-Kolleg ungläubig den Blick nach Osten und hört fassungslos die Geschichten der Menschen in der Ukraine. Mit Winfried Nachtwei, dem ehemaligen sicherheitspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, begrüßten Schüler und Lehrer des Bischöflichen Weiterbildungskollegs am 25. März einen ausgewiesenen Experten für außenpolitische Sicherheitsfragen.

Nachtwei erläuterte die historisch-politischen Hintergründe des Krieges und die tagesaktuellen Entwicklungen und stellte konkrete Handlungsmöglichkeiten vor, von humanitärer Unterstützung der Ukrainerinnen und Ukrainer über eine Nato-Flugverbotszone bis hin zu diplomatischen Maßnahmen der Konfliktlösung. Von Anfang an machte er klar, dass dieser Krieg auf Geheiß der politischen Führung Russlands – namentlich Putin – geführt werde, und warnte vor Pauschalisierungen, Russinnen und Russen sowie Menschen mit russischer Migrationsvorgeschichte in Deutschland betreffend. Der Angriffskrieg sei von der UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit verurteilt worden. 

Entgegen vorherigen Erwartungen und Befürchtungen seien Städte wie Charkiw und Mariupol sowie die Hauptstadt Kiew nicht gefallen. Die russischen Streitkräfte stünden vor einer offenbar nicht lösbaren Aufgabe und verstärkten ihre unmenschliche Kriegsführung, was nicht nur von der internationalen Gemeinschaft, sondern auch in Russland selbst unüberhörbar verurteilt werde. Der Angriffskrieg stelle die Weltgemeinschaft auf eine harte Probe, dennoch gebe es Handlungsmöglichkeiten, darauf angemessen und konsequent zu reagieren. Schließlich seien „die Völker der Vereinten Nationen“ dazu verpflichtet, die Menschen vor „der Geißel des Krieges [zu] bewahren“, so festgeschrieben in der Charta der Vereinten Nationen. 

Im Anschluss stand Winfried Nachtwei den Studierenden in einem Podiumsgespräch Rede und Antwort. In mehreren Fragerunden, jeweils moderiert von Schülerinnen und Schüler aus der AG „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ baten sie um seine Einschätzung der langfristigen Bedeutung dieses Krieges für die Politik der westlichen Demokratien und die Weltpolitik sowie für die Demokratiebewegung in Russland selbst. Nachtwei ließ außer Frage, dass dieser Krieg die Weltordnung neu bestimmen werde und dass westliche Demokratien – insbesondere im Kontext der Nato – sich derzeit gezwungen sähen, im Sinne einer Abschreckung wieder aufzurüsten. Gerade in Deutschland sei dies lange für unvorstellbar gehalten worden, so sehr sei man an Demokratie und Frieden gewöhnt und hielt sie für selbstverständlich. Die russische Demokratiebewegung habe leider wenig Chancen: Putin und sein Regime hätten, so Nachtwei, das Land in eine Diktatur umgewandelt mit allen Formen der Unterdrückung der Meinungsfreiheit. 

Gefragt nach der medialen Performance der beiden Präsidenten, die unterschiedlicher nicht sein könne, betonte Nachtwei den enormen Einfluss des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf die Widerstandskraft und den Durchhaltewillen der ukrainischen Streitkräfte und Zivilgesellschaft, hier habe eine Nation durch den Krieg zusammengefunden. Der medialen, unüberschaubaren Vielfalt an Informationen mit unterschiedlichem Wahrheitsgehalt und auf unterschiedlichsten Kanälen stellte Nachtwei die gewissenhafte und verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit den Medien gegenüber und verwies auf (Print-)Medien, die verhältnismäßig umfangreich und verlässlich tatsachenbasiert über den Krieg berichten würden. Etwas länger rang er um eine Antwort auf die Frage, wie er mit den verzweifelten Lebensgeschichten umgehe, die gerade durch die Sozialen Medien die Lebenswelt jüngerer Generationen erreichten. 

Nachtwei prognostizierte eine noch lange Dauer des Kriegszustandes, obgleich die Sanktionen auf Grund ihrer Härte möglicherweise schnell greifen und massiv die russische Zivilbevölkerung treffen würden. Abschließend wies er nachdrücklich darauf hin, dass es seit Jahrzehnten zahllose Kontakte und Beziehungen zwischen Menschen in Deutschland, in Russland, in der Ukraine und in anderen osteuropäischen Ländern gäbe. Diese Brücken sollten nicht abgebrochen werden, die Bevölkerung in der Ukraine beziehungsweise ukrainischen Geflüchteten unterstützt werden. 

Text: Ingo Stöckmann und Kristina Thies (AG Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage)
Foto: Overberg-Kolleg