Es ist genau zehn Jahre her, dass Sabine Müller sich auf die Suche nach einer neuen Aufgabe gemacht hat. „Die Familienphase war beendet und ich habe einen Ausgleich zu meinem Beruf in der freien Wirtschaft gesucht“, sagt die Mutter von drei erwachsenen Kindern. Eine Bekannte berichtete ihr von der Telefonseelsorge, ein Angebot der katholischen und evangelischen Kirche, bei dem Menschen mit Sorgen, Ängsten oder Problemen rund um die Uhr ihren Kummer mit geschulten Zuhörerinnen und Zuhörern teilen können. Rund 13.000 Anrufe pro Jahr gehen bei der TelefonSeelsorge Münster ein, zusätzlich werden 700 Mails beantwortet.
Für Sabine Müller, die sich schon immer über die Kinder in der Pfarrei und der Schule ehrenamtlich engagiert hat, genau das Richtige. „Ich wusste aus früheren Erfahrungen, dass ich Menschen gut ansprechen und mit ihnen in Kontakt kommen kann.“ Rund 200 Stunden umfasst die Ausbildung zur Telefonseelsorgerin, die Einheiten zur eigenen Biographie, zu professioneller Gesprächsführung und zu häufig angesprochenen Problemen beinhaltet. „Ich habe mich danach sehr gut vorbereitet gefühlt“, erinnert sich Sabine Müller.
Anonymität ist das oberste Gebot
Vier Dienste im Monat à drei bis vier Stunden, davon drei Dienste am Tag und einer in der Nacht, übernimmt die Münsterländerin im Monat. Telefoniert wird von einem Büro in Münster aus. „Ich finde die räumliche Trennung sehr hilfreich“, sagt die 61-Jährige – zumal das Büro laut Sabine Müller „als Wohlfühlort“ eingerichtet ist. „Es ist sehr gemütlich, wir haben die Wahl zwischen Tisch und Sofa ebenso wie zwischen einem festen Telefon oder einem Headset.“ Sabine Müller greift in ihren Diensten zum Headset: „Gerade bei schwierigeren Gesprächen mag ich es, mich zu bewegen.“
Ihren Namen sagt sie am Telefon nie. „Anonymität ist das oberste Gebot. Für die Anrufenden, aber auch für uns.“ Wer anruft, soll sich frei fühlen, über seine Sorgen und Nöte zu sprechen. Meldeten sich früher auch junge Menschen, sind es inzwischen vermehrt Berufstätige und Ältere. „Es greifen diejenigen zum Hörer, die sich mit dem Telefon vertraut fühlen. Jugendliche nutzen eher die Mail- oder Chatfunktion“, hat Sabine Müller beobachtet.
Themen zeigen Querschnitt der Gesellschaft
Einige Anrufende benennen konkrete Probleme, fordern gar eine Meinung ein. Andere wollen von ihrem Alltag berichten und das loswerden, was sie aktuell bewegt. Die Themen: „Ein Querschnitt unserer Gesellschaft“, weiß die Telefonseelsorgerin. Stress mit der Familie, Beziehungsprobleme oder Unstimmigkeiten im Job, finanzielle Sorgen, Angst vor Einsamkeit oder eine Überforderung angesichts der Krisen in der Welt. „Das Grundgefühl, dass das Leben schwierig ist, hat durch die Kriege, die Pandemie und die Inflation zugenommen“, findet Sabine Müller.
Mit Ratschlägen ist die Münsterländerin zurückhaltend. „Ich möchte zuhören und ins Gespräch kommen, aber keine Lösung überstülpen“, das ist ihr wichtig. Für sie steht immer der Anrufende im Mittelpunkt. „Man muss sich selbst zurücknehmen können und empathisch sein“, zählt Sabine Müller Eigenschaften eines Telefonseelsorgenden auf. Und sich abgrenzen können – „etwas, das man in der Ausbildung lernt und wofür die regelmäßige Supervision sehr hilfreich ist“, versichert sie. So gelingt es ihr gut, mit der Übergabe an ihren Kollegen, ihre Kollegin auch das zuvor Gehörte abzugeben. „Ich nehme selten Themen mit nach Hause.“
Ihr Einsatz bei der TelefonSeelsorge hat Sabine Müller dankbar gemacht – und demütig. „Es ist ein Geschenk, wenn man gesund ist, eine tolle Familie und ein stabiles Umfeld hat“, weiß sie. Aus einer christlichen Haltung heraus, möchte sie in den Gesprächen geben, was sie kann. Dass das Geben keineswegs einseitig ist, durfte sie in den vergangenen Jahren oft genug erfahren: „Mein Ehrenamt bereichert mich jedes Mal neu.“
Ein neuer Ausbildungskurs bei der TelefonSeelsorge Münster startet im März 2024, die Gespräche dazu finden in den kommenden Wochen statt. Weitere Informationen gibt es im Internet auf www.telefonseelsorge-muenster.de.
Ann-Christin Ladermann