Tagung im Franz-Hitze-Haus
Die mangelnde Qualität der Bildung ist ein zentrales Problem der lateinamerikanischen Staaten, sagt der Präsident der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur in Berlin, Prof. Dr. Hartmut Sangmeister. Bei der Eröffnung der Lateinamerika-Tagung (2.-4. Mai 2013) in der Katholisch-Sozialen Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster bescheinigte der Entwicklungsökonom am Donnerstag den Ländern Mittel- und Südamerikas jedoch, die Armut in den vergangenen 20 Jahren halbiert zu haben.
Trotzdem habe sich die soziale Ungleichheit bei weitem nicht überall verringert. "Das ist kein Zustand, der auf Dauer so bleiben darf", warnte Sangmeister bei der Tagung, die sich diesmal mit dem Thema "Gespaltene Gesellschaften - Soziale Frage und soziale Sicherung in Lateinamerika" befasst. Wirtschaftswachstum sei eben kein Allheilmittel gegen alle Übel dieser Welt.
In seinem Vortrag mit dem Titel "Wirtschaftswachstum, Armut und soziale Ungleichheit in Lateinamerika" wies der Experte seine 50 Zuhörer darauf hin, dass die meisten Staaten Lateinamerikas den Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung, die weniger als 1,2 US-Dollar am Tag verdienten, im Vergleich zu 1990 halbiert hätten. 2012 habe dieser Anteil bei 11,4 Prozent gelegen. Trotzdem seien 167 Millionen Menschen, die in bitterer Armut leben müssten, für einen vergleichsweise wohlhabenden Kontinent zu viel.
Allerdings sei es auch schwer, Armut genau zu definieren, und ebenso schwer, sie zu messen. Auf jeden Fall, so Sangmeister, dürfe nicht nur die materielle Armut eine Rolle spielen, sondern müsse auch die immaterielle Armut berücksichtigt werden. Armut sei in diesem Sinne nicht nur eine Frage des Habens, sondern auch des Seins. "Nach 30 Jahren Tätigkeit in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit muss ich festhalten: Die Armutsbegriffe greifen zu kurz, weil sie nur festhalten, wie Menschen sein und was sie haben sollten", kritisierte der Referent.
Trotz einer jährlichen Zuwachsrate von vier Prozent beim lateinamerikanischen Bruttosozialprodukt wiesen etwa Costa Rica und die Dominikanische Republik, aber auch Brasilien eine große soziale Ungleichheit auf, während sie in Argentinien, Bolivien, Nicaragua und Venezuela zurückgegangen sei. In Bolivien aber besäßen (Stand: 2008) die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung über 50 Prozent des gesamten Einkommens. Nach Überzeugung Sangmeisters aber lässt sich die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung reduzieren, wenn ein politischer Konsens vorhanden ist.
Das wirkungsreichste Instrument sei dabei die Bildungspolitik, die mittelfristig zu einer größeren Einkommensumverteilung führe. "Alles andere ist letztlich ineffizient", mahnte der Ökonom. Allein in Brasilien seien immer noch zehn Prozent oder 19 Millionen der erwachsenen Bevölkerung Analphabeten, und 700.000 Kinder besuchten keine Schule. "Das zeigt: Das Wirtschaftswachstum hilft den Armen nicht immer und überall", betonte der Referent. "Es kann die Armut nur reduzieren, wenn gleichzeitig Beschäftigungsmöglichkeiten für die arme Bevölkerung geschaffen werden." Wirkungsvoll seien auch Cash-Transfers an arme Bevölkerungsgruppen, die an Bedingungen geknüpft würden.
Die Lateinamerika-Tagung, die von der Katholisch-Sozialen Akademie Franz-Hitze-Haus zusammen mit dem Deutsch-Lateinamerikanischen Studiengang "CALA" der Fachhochschule Münster veranstaltet wird, dauert noch bis Samstag (04.05.2013). Dabei wird es unter anderem um die sozialen Bewegungen, die Gesundheitssysteme und die staatliche Sozialpolitik in Lateinamerika und speziell um die Länder Brasilien und Uruguay gehen. "Wir werden weiter der Frage nachgehen, warum es die soziale Spaltung in Lateinamerika gibt und was dagegen getan werden kann", kündigte Tagungsleiter Heinz Meyer vom Franz-Hitze-Haus an.
Text/Fotos: Bischöfliche Pressestelle
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