„Viele Fragen am Lebensende“

, Kreisdekanat Warendorf

Manchmal gibt Ursula Tewes dem Sterbenden einen kleinen Schutzengel aus Holz mit, legt ihn in seine Hand oder stellt ihn auf den Nachttisch. Der Handschmeichler, handgeschnitzt von ihrem Ehemann, soll ausdrücken: „Wenn Du gehst, bleibe ich zwar hier, aber Du bist nicht allein, Du wirst beschützt.“ Die 65-Jährige macht nur Gebrauch von dieser Geste, wenn sie weiß, dass derjenige empfänglich dafür ist. Übergestülpt wird nichts, denn das Angebot der Hospizbewegung im Kreis Warendorf richtet sich an alle Menschen, egal welcher Weltanschauung, Religion oder Nationalität.

Ursula Tewes

Nah am Menschen sein, das ist für Ursula Tewes (65) wichtig bei ihrer Tätigkeit als ehrenamtliche Sterbebegleiterin.

© Bistum Münster

Ursula Tewes ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin in dem gemeinnützigen Verein. Seit elf Jahren begleitet sie Menschen in der letzten Lebensphase in deren häuslichen Umfeld und teilt ihre Zeit mit ihnen. „Wir entlasten im Alltag, reden über Gott und die Welt, wir stellen uns aber auch den existenziellen Fragen der sterbenden Menschen – und davon haben manche am Ende ihres Lebens viele“, weiß die Ahlenerin: die Angst vor dem Sterben, vor Schmerzen, die Vorstellung von dem „Danach“, die Frage nach Gott.

Viele Jahre hat sich Ursula Tewes neben ihrer Tätigkeit als Buchhalterin in ihrer früheren Pfarrei St. Lambertus in Dolberg engagiert. Ob als Vorsitzende des Pfarreirates, bei Erstkommunion- und Firmvorbereitung, im Liturgieausschuss oder bei dem von ihr und ihrem Mann gegründeten Sauerlandlager – als Mutter von zwei Kindern war sie mittendrin. Ihr Einsatz im Krankenbesuchsdienst der Caritas führte ihr vor Augen, wie groß die Not bei schwer erkrankten Menschen und ihren Angehörigen ist. „15 Minuten reichen da nicht, sie brauchen Hilfe und Beistand, jemanden, der zuhört“, sagt sie. 

Ein Einführungs- und Aufbaukurs bei der Hospizbewegung folgten, dann beschloss Ursula Tewes, zunächst im stationären Hospiz in Ahlen zu arbeiten und das Abendbrot in der dortigen Küche zuzubereiten. „So war ich mit Sterbenden und ihren Angehörigen, aber eben auch mit Fachkräften in Kontakt“, erinnert sie sich und fügt hinzu: „Eine gute Vorbereitung für die Arbeit im ambulanten Hospizdienst.“ Damit begann die Ahlenerin ein halbes Jahr später. 

Hospizbewegung im Kreis Warendorf e.V.

Die 1993 gegründete Hospizbewegung im Kreis Warendorf e.V. ist ein gemeinnütziger Verein mit über 1000 Mitgliedern, von denen rund 300 in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern ehrenamtlich aktiv sind. Unter dem Dach des Vereins haben sich von Ahlen ausgehend in Beckum, Drensteinfurt, Ennigerloh, Everswinkel, Lippetal, Oelde, Sendenhorst-Hoetmar, Telgte und Wadersloh regionale Hospizgruppen gebildet.
Einen offenen Umgang mit schwerer Krankheit, Sterben, Tod und Trauer zu leben und Menschen dabei in ihrem häuslichen Umfeld oder in Einrichtungen ehrenamtlich zu begleiten, ist unser Hauptanliegen. 2001 hat der Verein sein Angebot durch die Eröffnung des stationären Hospizes St. Michael in Ahlen ergänzt. Im Hospiz- und PalliativZentrum sind ambulante und stationäre Hospizarbeit unter einem Dach vereint.

Ihre erste Begleitung, sie ist noch so präsent wie am ersten Tag. „Ein Jahr lang habe ich einen schwerkranken Mann, etwa 60 Jahre alt, begleitet. Er hat erst noch eine Chemotherapie gemacht und dann selbst entschieden, die Behandlung abzubrechen. Als er es mir gesagt hat, hat er meine Hand gehalten und ich habe geweint“, blickt sie zurück. „Lehrstunden für mein Leben und weitere Begleitungen“ seien das gewesen, denn da hat sie verstanden: „Man muss Menschen gehen lassen. Und es ist beeindruckend, wie friedlich Menschen gehen können.“ 

Drei Tage lang habe ihre kürzeste Begleitung gedauert, eineinhalb Jahre die längste. „Das war eine ältere Dame, sie hat immer den Tisch gedeckt, wenn ich kam, und unsere Treffen liebevoll vorbereitet. Mit ihr habe ich auch die Gräber ihrer Angehörigen auf verschiedenen Friedhöfen besucht,“ erzählt die 65-Jährige mit einem Lächeln. An viele schöne gemeinsame Situationen erinnert sie sich, die ältere Dame war ihr ans Herz gewachsen, „darum war es auch schwer für mich, als sie gestorben ist.“ 

Lebensfreude und Lebensangst – Ursula Tewes weiß, dass diese Gefühle oft beieinander liegen. „Ich kann dem Sterbenden die Last nicht abnehmen, ich kann nur ein Stück mitgehen.“ Und zuhören, denn immer wieder erfährt die Rentnerin, dass schwer kranke Menschen ihre Angehörigen nicht mit Ängsten und Fragen konfrontieren möchten. „Bei einem Außenstehenden fällt das vielen leichter.“ Zwar unterliegen Sterbebegleiter einer Schweigepflicht, doch auch Ursula Tewes kennt das Gefühl, wenn manches Gehörte einfach heraus muss. „Dafür gibt es regelmäßig Supervisionen und Gespräche in der Hospizgruppe.“

Beistand leisten, wenn es am schwersten ist: Die vergangenen Jahre in der Sterbebegleitung sind auch an Ursula Tewes nicht spurlos vorbeigegangen. Ihr Glaube gibt ihr Kraft, gleichzeitig zweifelt sie hin und wieder angesichts so vieler Schicksale. Was die Ahlenerin aber festgestellt hat: „Ich lebe bewusster, genieße jeden Sonnenuntergang und jeden Moment, in dem es mir und meiner Familie gut geht.“ Auch ist sie wachsamer im Umgang mit ihren Mitmenschen. „Wo ist jemand traurig, wo braucht jemand Hilfe? Das versuche ich bewusst wahrzunehmen“, sagt sie. 

Ursula Tewes bedauert es, dass Sterben und Tod und auch die damit verbundene Trauer noch immer Taubthemen in der Gesellschaft sind. Auch aufgrund ihrer eigenen Biografie – schon in jungen Jahren wurde sie durch Schicksalsschläge in der Familie damit konfrontiert – lassen sie die Themen nicht mehr los. Vor vier Jahren hat sie sich zusätzlich zur Trauerbegleiterin qualifizieren lassen und hilft nun Menschen, die mit dem Verlust eines nahen Angehörigen alleine nicht zurechtkommen. Motivation für ihr ehrenamtliches Engagement: „Nah am Menschen sein und meinen Glauben ganz praktisch versuchen zu leben.“

Ann-Christin Ladermann