Die Geschichte der Familie Katz aus Essen ist nur ein Beispiel für die deutsch-jüdischen Familien, die 1938/1939 gezwungen waren, mehr als 10.000 minderjährige Kinder allein nach Großbritannien und in die Niederlande zu schicken, um deren Leben zu retten. Der Vortrag versucht nachzuzeichnen, wie deutsche Juden auf die Entwicklung der nationalsozialistischen Politik - der Diskriminierung, Beraubung und Verfolgung - reagierten. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Jahren 1938-1945. Nach den Erfahrungen des Novemberpogroms 1938 erkannten viele deutsch-jüdische Familien, dass nicht nur ihre Würde angetastet und ihr Besitz geraubt wurde, sondern dass ihr Leben bedroht war.
Mit großer Zähigkeit bemühten sie sich trotz zahlreicher Rückschläge, aus Deutschland auszuwandern. Aber durch die räuberische Politik der Nazis, durch die Verschärfung der Einwanderungsbestimmungen des Auslandes und durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatten nur wenige das Glück, rechtzeitig ausreisen zu können. Die Zurückbleibenden wurden zermürbt durch hilfloses Warten, nahmen sich das Lebens, als sie den Deportationsbefehl erhielten, oder kämpften selbst noch im Ghetto oder im Konzentrationslager ums Überleben, wie die Eltern Katz, um vielleicht doch noch die eigene Tochter einmal wiederzusehen.
Heute sind wieder zahlreiche minderjährige Kinder und Jugendliche in der Europäischen Union gelandet. Ihre Eltern haben sie nach Europa geschickt, um sie vor Verfolgung und Krieg zu retten. Die Erinnerung an das Schicksal vieler deutsch-jüdischer Familien in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft mag vielleicht auch dazu beitragen, das Erleben der Flucht und der Ohnmacht, die eigenen Eltern und Verwandten nicht retten zu können, besser nachvollziehen zu können, auch wenn uns das ganze Ausmaß solcher Schicksale unbegreiflich bleiben wird.
Dr. Bernd Schminnes ist Historiker und rekonstruierte 1986 die Geschichte der Familie Katz im Auftrag der damaligen Gedenkstätte Alte Synagoge, Essen. Er betreibt heute in Xanten das Niederrheinische Büro für Geschichte.
Der Eintritt zum Vortrag im Stiftsmuseum Xanten ist frei.