Zwischen Sorge und leichtem Hoffnungsschimmer

, Bistum Münster, Stadtdekanat Münster

Rund 1.400 Kilometer trennen Mariya Sharko von ihrer Herkunftsfamilie im ukrainischen Oblast (Verwaltungsbezirk) Lwiw (deutsch: Lemberg). Aber gefühlt ist die Mitarbeiterin der Fachstelle Weltkirche des Bistums Münster der Heimat und der dort lebenden Verwandtschaft in diesen Tagen besonders nah. Denn obwohl es in der Ukraine schon seit der Besetzung der Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten gibt, sagt Sharko: „Meine Sorge ist in letzter Zeit noch einmal deutlich gewachsen.“ 

Mariya Sharko macht sich Gedanken um Angehörige in der Ukraine

Dass Russland große Truppenteile an seiner Grenze zur östlichen Ukraine zusammengezogen hat, beunruhigt sie, trotz des von Präsident Wladimir Putin jüngst angekündigten Truppenabzugs. „Putin begründet die russische Militärpräsenz mit der Sorge vor einem NATO-Beitritt der Ukraine, dabei gibt es zurzeit keine Gespräche in diese Richtung zwischen der NATO und der Ukraine“, sagt Sharko. Sie ist überzeugt: „Tatsächlich fürchtet Putin vor allem, dass die Ideen von Demokratie und Menschenrechten zu nah an Russland heranrücken.“ Schließlich sei die Ukraine seit 30 Jahren eine zunehmend gefestigte Demokratie. Außerdem rede der russische Präsident immer wieder von der Einheit der Russen und Ukrainer, weiß Sharko, die russisch spricht und deshalb Putins Äußerungen im Original versteht. „Er würde am liebsten die Geschichte zurückdrehen und Russland zur Größe der Sowjetunion zurückführen“, befürchtet sie. Bereits vor einigen Jahren habe Präsident Putin den Zerfall der Sowjetunion als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

Diese Befürchtung teilt Mariya Sharko mit vielen in Deutschland lebenden Ukrainern. Ihre Familie und sie sind mit vielen von ihnen vernetzt und tauschen sich aus, vor allem in der griechisch-katholischen Kirchengemeinde und im Verein „Ukrainische Sprache und Kultur in Münster“ e.V.

Im Gegensatz zu ihren eigenen Sorgen erlebt sie Familie und Freunde in der Ukraine, zu denen sie über Telefon und Messenger-Dienste Kontakt hält, als eher pragmatisch. „Sie leben ja im Grunde seit 2014 im Kriegszustand, es hat seitdem 13.000 Opfer gegeben“, sagt sie. Dennoch nähmen die Menschen die verschärfte Lage ernst, bereiteten sich beispielsweise in Kursen darauf vor, wie sich im Kriegsfall verstecken oder versorgen könnten. 

Und die Ukrainer hätten, betont Mariya Sharko, klare Erwartungen an den Westen und auch an Deutschland: „Wir wünschen uns, dass der Westen und Deutschland klare Worte mit Russland sprechen. Präsident Putin muss verstehen, dass er im Fall einer Invasion in die Ukraine mit starken wirtschaftlichen Konsequenzen rechnen muss.“ Auch Waffenlieferungen seien im äußersten Fall ein Thema: „Ich möchte nicht, dass es in meinem Land dazu kommt, dass Waffen gegen die russische Armee eingesetzt werden müssen. Allerdings muss die Ukraine zeigen können, dass sie im Fall des russischen Angriffs in der Lage ist, sich zu wehren.“

Die Ukraine habe sich bei der Annexion der Krim 2014 militärisch zurückgehalten, dann aber erleben müssen, dass der Westen Russland gewähren ließ. „Meine Sorge ist, dass die Ukraine so etwas nicht noch mal zulassen, sondern ebenfalls militärisch reagieren würde“, sagt Sharko. Gleichzeitig hebt sie hervor, dass sich die Ukrainer bewusst seien, dass sie Deutschland in der Vergangenheit viel zu verdanken hätten. 

In Mariya Sharkos Familie schlägt sich die Krise auch im Alltag konkret nieder. Ihr Mann Stephan, der als Priester im Seelsorgeteam der Altenberger Pfarrei St. Johannes Baptist arbeitet, ist ebenfalls gebürtiger Ukrainer. Zurzeit besucht er seine dortige Familie. Von den drei gemeinsamen Kindern, berichtet Sharko, lasse sich die Situation nicht ganz fernhalten, sie machten sich Sorgen um den Vater und fragten nach den Verwandten. „Wir haben ihnen auf der Karte gezeigt, dass ihre Großeltern in der Westukraine relativ weit weg sind von der Krisenregion, das hat sie etwas beruhigt“, sagt die Mutter. 

Auch sie selbst hat insbesondere nach den jüngsten Entwicklungen etwas weniger Sorgen. Seit den Äußerungen, die Putin nach dem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz gemacht habe, habe sie „doch noch die Hoffnung, dass es eine diplomatische Lösung des Konflikts geben kann.“ Eine Hoffnung, die sicher viele ihrer Verwandten und Freunde in der Ukraine mit ihr teilen.