
Prof. Thomas Schüller (links) und Dr. Thomas Neumann.
© Bistum Münster / Lara BergjohannHerr Prof. Schüller, Herr Dr. Neumann, welche Bedeutung haben für Sie die beiden Ordnungen – auch im Blick auf die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch in der Kirche?
Beide Ordnungen sind ein mutiger und notwendiger Schritt des Bischofs von Münster. Auf einer Metaebene löst der Bischof die Aufgabenstellung/Forderung der MHG-Studie ein, klerikale Machtstrukturen zu überdenken und handfeste rechtliche Konsequenzen auf diese Überlegungen folgen zu lassen.
Vor allem die Disziplinarordnung für Kleriker schließt dabei eine empfindliche Lücke für die Fälle, wo ein grenzüberschreitendes sexuell motiviertes Verhalten eines Klerikers nach staatlichem wie kirchlichem Recht zwar nicht strafrechtlich geahndet werden, wohl aber nun disziplinarrechtlich verfolgt werden kann. Nicht wenige Betroffene eines solchen Verhaltens durch Kleriker leiden schwer unter den Folgen dieser Grenzverletzungen und von daher bekommt nun der jeweilige Diözesanbischof von Münster die rechtliche Möglichkeit, disziplinarrechtlich in einem geregelten rechtssicheren Verfahren in diesen Fällen gegen einen Kleriker vorgehen zu können.
Welche Gesichtspunkte sind im Blick auf die Schlichtungsordnung für Sie zentral?
Die Schlichtungsordnung eröffnet erstmals die Möglichkeit, bei einem Beschwer durch einen Verwaltungsakt ein geregeltes Verfahren in der Diözese selbst zu führen. Die Schlichterinnen und Schlichter sind dabei unabhängig. Bei positivem Ausgang muss der beschwerliche Weg des hierarchischen Rekurses angesichts von Sprachbarrieren, Anwaltspflicht und räumlicher Entfernung zum Vatikan nicht beschritten werden.
Die Schlichtungsordnung umfasst daher eine Vielzahl von Verwaltungsakten, die nun in einem freiwilligen, außergerichtlichen Verfahren, dem die beiden Parteien zustimmen müssen, in einem Schlichtungsverfahren einer möglichst konsensualen Lösung zugeführt werden können. Gerade die vielen Verwaltungsentscheidungen kirchlicher Behörden sind nicht selten Anlass für Unzufriedenheit und Ärger. Ausgenommen sind lehramtliche Bescheide des Bischofs, Urteile der kirchlichen Gerichte und all die Sachverhalte, die in anderen Ordnungen wie zum Beispiel der Missio-Ordnung mit eigenständigen Verfahren geregelt sind. Sie basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, ersetzt nicht die Möglichkeit, gegen kirchliche Verwaltungsbescheide auch Verwaltungsbeschwerde bei den zuständigen römischen Behörden einlegen zu können und dient als Möglichkeit, in geordneter Weise für eine Kultur des Rechtsfriedens zu sorgen.
Welches ist der Unterschied zwischen einem Schlichtungsrat und einem kirchlichen Verwaltungsgericht?
Der Schlichtungsrat ist ein Organ der freiwilligen Rechtspflege zur möglichst konsensualen Befriedung von Streit über konkrete kirchliche Verwaltungsakte bzw. Kompetenzstreitigkeiten zwischen kirchlichen Gremien. Seine Entscheidungen basieren auf der freien Zustimmung der involvierten Parteien zur Lösung dieser Konflikte auf diese Weise. Die von der Deutschen Bischofskonferenz schon seit einigen Jahren beantragte Implementierung von kirchlichen Verwaltungsgerichten, die bisher von Rom nicht genehmigt wurde, stellen Gerichte im eigentlichen Sinn des Wortes dar, die von allen Gläubigen mit der Bitte um gerichtliche Entscheidungen angegangen werden können und deren Entscheidungen die Prozessparteien rechtlich binden.
Welches sind aus Ihrer Sicht die bedeutendsten Aspekte der Disziplinarordnung für Kleriker?
Der wohl bedeutendste kirchenpolitische Aspekt ist darin zu sehen, dass Bischof Dr. Genn mit dieser Ordnung weltkirchlich Neuland betritt. Es gibt in keiner Diözese weltweit ein solches geregeltes Verfahren, obwohl es von der kanonistischen Fachwelt und Vertretern der Römischen Kurie seit Jahrzehnten gefordert wird.
Die Disziplinarordnung sorgt im Bereich der universalkirchenrechtlich im Codex von 1983 hinterlegten Klerikerpflichten für Bischof und Kleriker im Konfliktfall für eine gesetzliche Grundlage zur geregelten Ahndung in einem rechtsstaatlichen Verfahren, an die beide Seiten gebunden sind. Die Verletzung von Dienstpflichten kann nun geordnet geahndet werden wie es auch das deutsche Recht für Beamteninnen und Beamten kennt. Dies betrifft nicht nur die schon angesprochenen Grenzverletzungen mit sexueller Motivation unterhalb der Strafrechtsgrenze, sondern alle universalkirchlich hinterlegten Klerikerpflichten, zum Beispiel auch den nicht sachgerechten Umgang mit kirchlichen Vermögenswerten.
Warum braucht es – neben dem Kirchenrecht – überhaupt eine solche Disziplinarordnung für Kleriker?
Das Klerikerdiensrecht des kirchlichen Gesetzbuches listet eine Vielzahl von Klerikerpflichten auf, bietet aber prozedural wenige oder gar keine Verfahren an, wie mit ihnen umgegangen werden soll. Dies führt in der Praxis dazu, dass zum einen von Seiten der bischöflichen Behörden recht willkürlich und situativ sehr unterschiedlich mit vergleichbaren Pflichtverletzungen umgegangen wird und andererseits dazu, dass ein solches klerikales Fehlverhalten nicht selten folgenlos bleibt zum Schaden der Gläubigen. Der Bischof von Münster füllt nun diese offenkundigen Lücken prozedural wie in der Sache. Dazu gehört aber auch, dass involvierte Kleriker das Recht auf einen Rechtsbeistand haben und Entscheidungen der Kammern begründungspflichtig sind. Kurzum: Die Rechtssicherheit auf beiden Seiten (Bischof und Kleriker) wird erhöht, was sich unter anderem durch die Verpflichtung zur Ahndung auf der einen Seite und das Verteidigungsrecht auf der anderen Seite ausdrückt.