Begegnung und Gebet bei 75. Glatzer Wallfahrt in Telgte

, Kreisdekanat Warendorf

Vertreibung und Flucht aus der Heimat sind immer mit leidvollen Erfahrungen verbunden, die als mahnendes Zeichen dazu aufrufen, sich für Menschen in Notlagen und ein friedlicheres Miteinander einzusetzen. Mit der 75. Glatzer Wallfahrt, die am 26. und 27. August in Telgte stattgefunden hat, ging ein Aufruf über die Stadtgrenzen des Marienwallfahrtsortes hinaus. „Die Friedensarbeit, die Sie und Ihre Vorfahren geleistet haben, muss fortgesetzt und auch mit denen geteilt werden, die nicht oder nur schwer vergeben können“, betonte Münsters Bischof Dr. Felix Genn im Festgottesdienst am Samstag, den er unter anderem gemeinsam mit dem Präses für das Heimatwerk Glatz, Dr. Marius Linnenborn, Großdechant Prälat Franz Jung und Propst Dr. Michael Langenfeld feierte. 

Bischof Dr. Felix Genn dankte den Vertriebenen für ihre geleistete Friedensarbeit.

© Bistum Münster

Seit 1947 kommen die Vertriebenen der Grafschaft Glatz in Schlesien Ende August nach Telgte zur Gottesmutter. Für die Heimatvertriebenen ist der Besuch mehr als nur eine Wallfahrt, er gleicht vielmehr einem Familientreffen von Mitgliedern, die das gleiche Schicksal eint: Vor 1945 gehörte ihr Gebiet zu Deutschland, nach dem Krieg wurde die Grafschaft Glatz ein Polens, und rund 180.000 Menschen, davon 160.000 Katholiken wurden damals aus ihrer Heimat vertrieben. In Telgte gesellten sich auch viele jüngere Familienmitglieder der Vertriebenen zur Schmerzhaften Gottesmutter, um am Freitag mit einer Vesper, einem Vortrag und einer Andacht mit anschließender Lichterprozession die Wallfahrt zu beginnen.

„Gerade Sie können nachempfinden, was die Menschen in der Ukraine seit Monaten erleben müssen“, wandte sich Bischof Genn an die im Zweiten Weltkrieg Vertriebenen. Sicherlich sei das Bewusstsein der Heimat an diesem Tag lebendig, doch mische sich vermutlich auch die Solidarität mit den Menschen, die derzeit in Kriegsgebieten vertrieben werden oder freiwillig ihre Heimat verlassen, darunter. Ganz bewusst hätten sich die Vertriebenen aus der Grafschaft Glatz damals Telgte als geistliche Heimat ausgesucht. „In dem Bild der Schmerzhaften Muttergottes, dieser traurigen Frau, die ihre Tränen nicht verbergen kann, konnten sie sich mit ihrer Not und ihrem Leid wiederfinden, sie fühlten sich verstanden und tun es bis heute“, erklärte der Bischof. Er dankte den anwesenden Vertriebenen und den Vorfahren der Angehörigen für die geleistete Friedensarbeit, von der er nur ahnen könne, wie viel Kraft diese gekostet habe. „Frieden zu stiften, der hält und trägt, diese Aufgabe hat eine brennende und leidvolle Aktualität“, fasste Genn zusammen und rief die Gläubigen zum Gebet für den Frieden auf.

Die Schlussandacht am Nachmittag stand im Zeichen der neuen Seligen aus der Grafschaft Glatz, Schwester Adela Schramm aus Wiesau. Sie wurde im Juni dieses Jahres in Breslau zusammen mit neun weiteren Ordensschwestern aus der Kongregation der Schwestern von der heiligen Elisabeth seliggesprochen, wovon Großdechant Prälat Franz Jung berichtete. Schwester Adela hatte sich 1945 nach der Evakuierung der Pfarrei mit anderen Flüchtlingen im niederschlesischen Günthersdorf im Kreis Bunzlau bei der Familie eines Landwirts versteckt. Als russische Soldaten den Hof überfielen, versuchte Schwester Adela die anderen Flüchtlinge zu beschützen. Doch russische Soldaten erschossen sie und die Bauersfamilie am 25. Februar 1945. Auf dem Heimatplatz in Telgte ergänzt eine Stele mit ihrem Namen seit wenigen Tagen die Glatzer Gedenktafeln. 

Ann-Christin Ladermann