"Antisemitismus entgegentreten": Gedenkstunde zum 9. November

, Stadtdekanat Münster

Der „Kampf gegen Antisemitismus“ hat am 9. November im Mittelpunkt der Gedenkstunde zum 9. November 1938 in der Synagoge von Münster gestanden. Eingeladen hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische-Zusammenarbeit, die erneut die Gedenkstunde ausrichtete. Als deren geschäftsführender Vorsitzender eröffnete Domkapitular Dr. Ferdinand Schumacher die Veranstaltung im voll besetzten Gebetssaal des jüdischen Gotteshauses. Mit einer Schweigeminute gedachte die Versammlung kirchlicher, politischer und Verwaltungsvertreter und Gemeindemitglieder zunächst der Terroropfer des vergangenen Jahres, insbesondere jener des Attentats von Pittsburgh.

Dr. Ferdinand Schumacher bückt sich zu sechs auf einem Tisch stehenden blauen Kerzen herunter und zündet eine an.

Am Ende der Gedenkstunde steckte Domkapitular Dr. Ferdinand Schumacher die erste von sechs Kerzen an, die für die sechs Millionen durch die Nazis getöteten Juden standen.

© Bistum Münster

Schumacher erinnerte an die Reichsprogromnacht, in der „ein organisierter Mob auch in Münster Jagd auf Juden gemacht und deren Synagogen zerstört“ habe. Antisemitische Übergriffe kämen heute wieder vermehrt und in vielen Facetten vor: „Offensichtlich hat der Antisemitismus, die Hetze, das böse Reden und das Beleidigen wieder einen Boden gefunden, der verletzend ist und jüdische Mitbürger zurecht verstört“, beklagte der katholische Geistliche. Abschließend zitierte er das Gedicht „Ihr Völker“ der Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, die von den Nazis verhaftet worden war, in dem es heißt: „Völker der Erde, zerschneidet nicht mit dem Messer des Hasses den Laut, der mit dem Atem zugleich geboren wurde“. Diese Worte, 1946 geschrieben, seien heute, 2018 „mindestens genauso aktuell“, betonte Schumacher.

„Mich besorgt, dass in der deutschen Politik heute Dinge möglich sind, die vor zwanzig, dreißig Jahren noch undenkbar gewesen wären“, hob Hauptredner Dr. Uri R. Kaufmann in seiner Ansprache hervor. Der Leiter der „Alten Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur“ verwies auf „vieles, was von der AFD gesagt worden ist“. Er finde es unerträglich, dass „Björn Höcke das Schoah-Mahnmal als Schande bezeichnet“ habe und dass „so ein Mann mit einer Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2019 in Thüringen belohnt“ werde. Auch die Äußerung von Alexander Gauland, der die Nazizeit „als Vogelschiss in einer sonst erfolgreichen deutschen Geschichte“ bezeichnet habe, sei verheerend. Dass jemand so etwas sagen könne und dies keine Konsequenzen habe, finde er äußerst bedenklich. Dass eine Partei mit derartigen Positionen auf 20 oder 25 Prozent komme und sogar stärkste Partei in Sachsen werde, dass „ganz enorme Teile der Bevölkerung leider Gottes diesen Verführern jetzt erlegen sind“, verlange danach, „dass man aktiv Information und aktive Aufklärung“ setze, „in der Schule, in der Erwachsenenbildung, in den Integrationskursen“. Auch die Christlich-Jüdische Gesellschaft sei zur Wachsamkeit aufgefordert und dazu, etwas entgegen zu setzen.

Zuvor hatte Dr. Karina von Hoensbroech, stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Münster, das Grußwort des erkrankten Vorsitzenden Sharon Fehr vorgetragen. Fehr beschrieb die schlimmen Geschehnisse von 1938 in vielen bedrückenden Einzelheiten. Die Nazis hätten in jener „Nacht des Schreckens“ jede Hemmung verloren, die Übergriffe hätten sich vor aller Augen abgespielt. Nach und nach hätten die Nazis das jüdische Leben in Deutschland ausgelöscht, erst nach dem Krieg habe sich in Münster eine neue jüdische Gemeinde gebildet, die heute wieder mehr als 600 Mitglieder zähle und ein reges Gemeindeleben pflege, das neuerdings wieder überschattet werde. „Wir machen und große Sorgen über den anwachsenden Antisemitismus, über Feindlichkeit gegenüber geflüchteten Menschen und den Zulauf rechtspopulistischer Parteien und Gruppierungen.“ Der Antisemitismus betreffe die Juden, sei aber das Problem „der nichtjüdischen, demokratischen Gesellschaft, die es um ihre eigene Ehre und Würde nicht zulassen darf, dass Menschen wieder ausgegrenzt oder gar verfolgt werden.“ Die Erhaltung der Demokratie in Deutschland und das selbstverständliche, europäische, gemeinsame Bewusstsein sei eine Aufgabe, an der „jeder von uns sich jeden Tag aktiv“ beteiligen müsse.

Die Münstersche Regierungspräsidentin Dorothee Feller bezeichnete in ihrem Grußwort die Reichsprogromnacht als Rückfall in die Barbarei, die den Übergang von Diskriminierung und Ausgrenzung hin zu systematischer Verfolgung und Vernichtung markiere. Was 1938 geschehen sei, könne sich wiederholen; deshalb sei Erinnern so wichtig. Damals wie heute gelte: „Wer wegschaut, beteiligt sich“. Es sei beschämend, „dass unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer Gesellschaft wieder Angst haben, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen“, stellte Feller klar. „Auf Grund unseres Wertesystems und vor dem Hintergrund unserer Geschichte“ sei „jeder einzelne aufgerufen, jeglicher Form des Antisemitismus vehement entgegen zu treten.“ Schulen müssten nicht nur Sachwissen vermitteln, sondern auch die Fähigkeiten zur kritischen Urteilsbildung und zur Entwicklung von Einfühlungsvermögen stärken. „Seien wir wachsam und zeigen Haltung“, appellierte Feller am Ende ihres Grußworts.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster setzt sich mit verschiedenen Veranstaltungen für ein neues Verhältnis zwischen Christen und Juden ein, das gegenseitiges Verstehen fördert und Vorurteile beseitigt.

Martin Wißmann