Die Angst vorm Sterben kann man niemandem nehmen
Es ist kein typischer Studentenjob, den Lara Frühling hat. Wenn sich die 23-Jährige abends auf den Weg zur Arbeit macht, geht sie nicht zum Kellnern in eine Bar oder zum Ticketverkaufen ins Kino. Lara Frühling fährt ins Johannes-Hospiz.
Drei Nächte im Monat – manchmal auch mehr – unterstützt sie dort die Pflegekraft im Nachtdienst bei allem, was anfällt. "Das Hospiz strahlt etwas Besonderes aus; es ist ein Ort, an dem sich die Bewohner geborgen fühlen können", sagt Lara Frühling und fügt hinzu: "Nicht nur die Bewohner, auch wir Mitarbeitenden."
Längst ist die Einrichtung in der alten Villa neben dem St.-Franziskus-Hospital für die Studentin zu einem vertrauten Ort geworden. Als in der 12. Klasse ein enger Schulfreund von ihr plötzlich stirbt, steht für Lara Frühling fest: ihr zweiwöchiges Berufspraktikum macht sie in einem Hospiz. "Ich wollte die gegensätzliche Situation kennenlernen, einen Ort, an dem Menschen wissen, dass sie sterben werden", begründet sie ihre Entscheidung. Mit gerade einmal 18 Jahren konfrontiert sie sich mit Trauer, Abschied und Tod – lernt aber gleichzeitig Menschen kennen, die sie beeindrucken und prägen. Für Lara Frühling ein Grund, das ohnehin geplante Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) nach dem Abitur ebenfalls im Johannes-Hospiz zu verbringen.
Im hauswirtschaftlichen Bereich der Einrichtung lernt die Münsteranerin den Alltag im Hospiz kennen. "Ich habe das Frühstück vorbereitet, Essen verteilt und einigen Bewohnern angereicht, Getränke und Zeitungen für die Bewohner besorgt, Wäsche sortiert und gefaltet", zählt die Studentin auf. Immer wieder kommt sie dabei mit den Bewohnern ins Gespräch. Dabei geht es um Themen des Alltags, aber auch um existenzielle Fragen. "Die Angst vorm Sterben kann ich niemandem nehmen", sagt Lara Frühling. "Aber ich kann versuchen, mit meinen Möglichkeiten eine Antwort zu geben, indem ich versuche, meine Ruhe auf den Bewohner zu übertragen, ihm die Hand zu halten, seine Schulter zu streicheln oder ihn auch mal in den Arm zu nehmen, wenn er das möchte." Das kostet Kraft und bringt einen an die eigenen Grenzen, weiß die junge Frau.
Nach Ende des FSJs konzentriert sie sich zunächst auf ihr Theologiestudium. Seit August 2015 arbeitet sie wieder im Hospiz. Um 21 Uhr und um Mitternacht begleitet sie die Pflegekraft in alle Zimmer, dazwischen erledigt sie hauswirtschaftliche Dinge, die tagsüber liegen geblieben sind. Das Telefon neben ihrem Bett klingelt nur, wenn die Pflegekraft Unterstützung benötigt oder ein Bewohner verstorben ist. In letzterem Fall wäscht und kleidet sie den Verstorbenen gemeinsam mit der Kollegin ein. "Auch wenn es natürlich eine traurige Situation ist: Die Atmosphäre in dem Zimmer ist meistens eine sehr friedliche und entspannte", beschreibt Lara Frühling. Oft könne man in den Gesichtern der Verstorbenen sehen, dass "etwas abgelegt" wurde, verbunden mit einem kleinen Lächeln. Manchmal dagegen zeige das Gesicht auch nach dem Tod die Schwere und Anstrengung der vergangenen Monate.
Es ist gerade dieser Umgang mit den Menschen in der letzten Lebensphase, der die 23-Jährige jedes Mal aufs Neue beeindruckt: "Das Schönste ist der Respekt und die Würde, den die Menschen im Hospiz auch über den Tod hinaus erfahren." Als große Bereicherung empfindet sie die Gespräche mit den Pflegenden. "Wenn mich eine Situation beschäftigt oder ich Fragen habe, kann ich das sagen", erklärt sie. "Unglaublich viel" habe sie außerdem schon von Gesprächen zwischen den Pflegenden und den Bewohnern gelernt. "Es ist toll, wie es den Pflegekräften gelingt, die richtigen Worte gegenüber den Bewohnern, aber auch den Angehörigen zu finden."
Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen hilft der Studentin, die Balance zu finden. "Ich weiß, dass es in Ordnung ist, wenn ich nach einer unruhigen Nacht zu Hause erstmal zehn Minuten weinen muss, bevor ich damit abschließen kann." Eine Kollegin habe mal zu ihr gesagt: ‚Wenn man nicht berührbar ist, dann kann man den Job hier nicht machen.‘ "Sie hat recht."
Viele Situationen gehen Lara Frühling noch immer nahe und fordern sie heraus, doch es hat sich etwas geändert: "Im FSJ wollte ich vor allem meine Grenzen kennenlernen, jetzt ist die Arbeit im Hospiz für mich ein Ausgleich zum wissenschaftlichen Studium." Noch weiß sie nicht genau, welche Richtung sie beruflich einschlagen möchte. Dafür steht für sie fest: "Solange ich in Münster bin, bleibe ich im Johannes-Hospiz."
Bildunterschrift: Lara Frühling (23)
Text: Bischöfliche Pressestelle / 09.11.16
Kontakt: Pressestelle[at]bistum-muenster.de
Foto: Bischöfliche Pressestelle/Ann-Christin Ladermann