Ernesto Cardenal liest im Franz-Hitze-Haus aus seinem literarischen Lebenswer

Auf den ersten Blick fällt er gar nicht auf, so klein ist er. Doch für die meisten im Saal ist der Mann mit weißem Haar und schwarzer Baskenmütze ein ganz Großer.

Das bringt der stehende Applaus des Publikums am 2. März in der Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster zum Ausdruck, als Ernesto Cardenal zu Beginn den Mittelgang entlang nach vorne geht. Auf einen Stock gestützt und bei seinem langjährigen Freund und Übersetzer Lutz Kliche eingehakt, setzt der 92-Jährige aus Nicaragua vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Der Priester, Politiker und Schriftsteller ist an diesem Abend ein willkommener Gast. Auffallend viele junge Menschen sind zu seiner Konzertlesung gekommen. Unauffällig gibt sich Cardenal dagegen selbst: bekleidet mit bequemen Schlappen, ausgeblichenen Jeans und einer für ihn zu groß gewordenen Jacke.

Schon seit einigen Tagen ist die Veranstaltung mit rund 270 Besuchern ausgebucht – eine auch für das Franz-Hitze-Haus nicht alltägliche Größenordnung. Dabei ist die Lesereise unter anderem mit weiteren Stationen in Bonn, Berlin und Freiburg recht kurzfristig bekannt geworden. Anlass ist der 4. März: An diesem Tag erhält Cardenal die Ehrendoktorwürde der Bergischen Universität Wuppertal. Die Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften würdigt damit seinen Beitrag zur Weltliteratur und sein Engagement für den kulturellen Austausch zwischen Nicaragua und Deutschland. Seit mehr als einem halben Jahrhundert setzt sich Ernesto Cardenal für eine gerechtere Welt ein. Papst Johannes Paul II. hatte ihm 1985 die Ausübung des priesterlichen Dienstes verboten, weil er nach dem Umsturz gegen die Somoza-Diktatur ein Ministeramt in der Revolutionsregierung seines Heimatlandes bekleidet hatte.

Weniger politisch als viel mehr romantisch beginnt Cardenal seine Lesung mit früheren Liebesgedichten. Er spricht in poetischen Bildern über die Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen, das sich ihm entzieht, und von dem Sehnen als Novize auf die Begegnung mit Gott. In seinen "Gesängen des Universums" staunt er – mal ernst, dann wieder humorvoll – über die Schöpfung, denkt über den Sinn des Daseins nach und klagt das soziale Unrecht an. Auch das Unrecht, das seiner Heimat Nicaragua widerfährt. Hochaktuell empört er sich mit kräftiger und lebendiger Stimme in einem seiner jüngsten Gedichte "Das Handy" über die Arbeitsbedingungen, unter denen im Kongo der Rohstoff Coltan für die Handy-Produktion gefördert wird.
Manch ein Vers verliert durch die Musik der lateinamerikanischen "Grupo Sal" an Schwere. Seit mehr als 25 Jahren begleiten die drei Musiker aus Chile, Argentinien und Portugal Cardenal bei seiner Tour. Mit ihren lateinamerikanischen Rhythmen von Samba bis Tango eröffnen sie den Besuchern einen künstlerischen Zugang zu entwicklungs- und umweltpolitischen Themen.

Als Menschenfreund präsentiert sich Ernesto Cardenal in der Pause. Durch seine kleinen Brillengläser lächelt er jedem entgegen, der sich mit einem Autogrammwunsch an ihn wendet. Ein besonderes Erlebnis, auch für Benjamin Haas, der mit seiner Freundin extra aus Bonn angereist ist. Vor mehr als zehn Jahren hat der 32-Jährige einen Freiwilligendienst in dem von Cardenal mitgegründeten Kulturzentrum "Casa de los Tres Mundos" absolviert. Eine Lesung des Priesters und Schriftstellers, zu der seine Mutter ihn damals mitgenommen hatte, weckte in ihm dem Wunsch nach Nicaragua zu gehen. "Insofern hat er mein Leben schon ein wenig geprägt und ich wollte die Gelegenheit unbedingt nutzen, ihn hier zu erleben", sagt er. Möglicherweise ist es nicht das letzte Mal: Ende des Jahres geht Haas zusammen mit seiner Freundin wieder für ein halbes Jahr nach Nicaragua.

Die Konzertlesung wurde ermöglicht durch die Kooperation der Akademie Franz-Hitze-Haus mit Vamos e.V. Münster, Christliche Initiative Romeo, Münster, GfbV Münster, Pan y Arte, Münster, KAB Münster und der Fachstelle Weltkirche des Bistums.

Bildunterschrift: Umrahmt von der lateinamerikanischen Musikgruppe "Grupo Sal" und übersetzt von Lutz Kliche las Ernesto Cardenal aus einem literarischen Lebenswerk. Rund 270 Besucher waren in die Akademie Franz-Hitze-Haus gekommen, um Ernesto Cardenal zu erleben.

Text: Bischöfliche Pressestelle / 3.3.17
Kontakt: Pressestelle[at]bistum-muenster.de
Foto: Bischöfliche Pressestelle/Kathrin Hartz