120 Tonnen für Münsters Domgeläut: Ein Besuch im Glockenstuhl des St. Paulus-Doms
Diese Gelegenheit gibt es nicht oft. Dreißig Teilnehmer wollen daher mit dem Architekten und Glockensachverständigen Michael Gerding (51) die steilen Stufen zum Domgeläut erklimmen.
Eigentlich zu viel für die engen Gänge, doch Gerlings nimmt sie notgedrungen mit. Das Interesse an den Domglocken ist so groß, dass er danach eine zweite Führung anbietet. "Mit Ihrer Unterschrift haben Sie bestätigt, dass Ihnen die Risiken des Aufstiegs bekannt sind. Wer Höhenangst hat oder Herzprobleme, sollte besser hier bleiben", macht er aber allen klar.
Über enge Treppen geht es im Südturm nach oben. "Im Dom hingen bis Kriegsende acht alte Glocken", erklärt Gerding beim ersten Stopp. Zwei von ihnen kamen sogar noch aus der Erbauungszeit des Doms im 13. Jahrhundert. In den letzten Kriegstagen ging aber alles kaputt. Noch verwertbare Metallreste der alten Glocken wurden für das neue Geläut eingeschmolzen, das 1956 aufgehängt wurde. Dazu kaufte das Domkapitel eine alte Glocke von 1526 aus Altschermbeck. "Der Glockenstuhl wurde damals aus Stahl gebaut. Bei der letzten Sanierung vor wenigen Jahren haben wir ihn durch einen hölzernen ersetzt. Die Tonlage ist dann weicher und nicht so metallisch, begründet der Glockenfachmann, der im ganzen Bistum 3.500 Glocken betreut, den Materialwechsel.
Einsetzendes Glockengeläut hindert die Gruppe daran, weiter hoch zu gehen. 120 Dezibel erfüllen den Turm, wenn alle Glocken läuten. Genauso laut wie ein startender Düsenjet. Gut, dass wir noch nicht oben sind. "Bis kurz vor dem Krieg wurden die Glocken noch per Hand geläutet", kann Gerding noch sagen. Zwölf Mann waren dafür nötig. Dann ist keine Verständigung mehr möglich. Als letztes hören wir noch die tiefe Tonlage der Kardinalsglocke. Mit ihren 7,6 Tonnen Gewicht ist die Grande Dame des gesamten Geläuts. Nach einer knappen viertel Stunde geht es bis in die oberste Ebene, auf 36 Meter Höhe stehen wir jetzt den Glocken gegenüber. "Das Gesamtgewicht der zehn Glocken beträgt zwanzig Tonnen, dazu kommen 24 m³ Eichenbalken mit 15 Tonnen Gewicht und viele Tonnen Eisenteile und Stahlträger. Das volle Geläut übt eine Last von 120 Tonnen auf den Turm aus, wenn es sich in Bewegung setzt", erklärt Gerding. Wann welche Glocken geläutet werden, wollen einige Besucher wissen. Dafür gibt es eine genaue Läutordnung. Auf acht Seiten legt sie fest, welche Glocken in welcher Reihenfolge zu welchen Anlässen geläutet werden. Ihre Steuerung erfolgt digital, selbst Melodien lassen sich einprogrammieren.
Beim Abgang will eine Besucherin nur noch eins wissen: "Wie viele Stufen sind wir eben hochgelaufen". Da muss der Glockenfachmann passen. Das hat er in den 17 Jahren, die er diesen Job schon macht, noch nie gezählt.
Text: Ludger Heuer, bmo
Kontakt: Ludger.Heuer[at]bmo-vechta.de