Di Fabio beschließt ,Domgedanken 2015‘
Daran, dass die Würde des Menschen der Maßstab der Freiheit sei, hat der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio in Münster erinnert.
"Wir können nur frei sein, wenn wir einen Maßstab und eine Idee von der Begrenzung der Freiheit in uns haben, und dieser Maßstab ist die Würde des Menschen", betonte di Fabio am 9. September im Rahmen der ,DomGedanken 2015‘ im St. Paulus-Dom. Zugleich warnte er in seinem Vortrag mit dem Titel ,Riskante Freiheit – wider den bevormundenden Staat‘‚ dass der Gedanke der Gottebenbildlichkeit des Menschen verloren gehen könne. "Dann kommen viele Möglichkeiten in Betracht, auch, dass Leben für lebensunwert erklärt wird und abgetrieben werden darf", betonte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn.
In seiner Ansprache verwies Di Fabio darauf, dass manche Gehirnforscher und Bioethiker die Freiheit als Illusion betrachteten. Den Glauben daran, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei, hielten sie für Aberglauben. Am Beginn der Neuzeit aber stehe die Gottebenbildlichkeit des Menschen. "Da Gott Freiheit bedeutet, bekommt der Mensch über die Seele jede Freiheit", unterstrich der Rechtsexperte, "wir sind verantwortlich für diese Welt." Freiheit aber sei immer aufregend und riskant, weil man damit scheitern könne. Deshalb brauche man Wissen und Bildung, eine Ordnung der Natur und die Erkenntnis des Wortes Gottes, um die Freiheit zu finden, zu begreifen und zu begrenzen.
Heutzutage aber beute der Mensch Umwelt und Tierwelt aus und zerstöre den Planeten Erde. Deswegen stelle sich die Frage, wie man intelligenter und sanfter regieren könne – durch Regeln und Verbote "oder, indem man die Leute schubst." "Es ist ein Unterschied, ob man in den Vordergrund stellt, dass jemand benachteiligt ist, oder dass jeder über sich hinauswächst und sein Schicksal selbst in die Hand nehmen darf", gab der Redner zu bedenken, "wir kennen die Grundlagen der Freiheit nicht mehr."
Dass die Würde des Menschen Maß aller Dinge sei, sei für das deutsche Grundgesetz selbstverständlich. Andererseits schreibe das Grundgesetz keinen Gottesglauben vor, sondern richte sich an Vertreter aller Religionen und Gottlose gleichermaßen. "Die Formel ,In Verantwortung vor Gott und den Menschen‘ in der Präambel ist an alle adressiert und eine Aufforderung, über Transzendenz nachzudenken", erklärte der Rechtswissenschaftler.
Di Fabio kritisierte, die momentanen Debatten nähmen nicht die Risiken der Freiheit und die individuellen Wege zum Glück in den Blick, sondern neigten dazu, alles und jedes zum politischen Problem zu machen. "Die Lösungen sind entsprechend, denn am Ende steht das Gesetz oder die Geldleistung, also die sozialethische Gestaltung", urteilte der frühere Verfassungsrichter, "das Problem ist, dass wir dem Einzelnen nichts mehr zutrauen." Materielle Ungleichheit könne man politisch bekämpfen, über Einsamkeit aber werde nicht gesprochen. "Dass Menschen unglücklich sind, ist kein Thema für den politischen Prozess", merkte di Fabio an.
Der moderne Staat habe die christlichen Tugenden verweltlicht, ja die Gesellschaften des Westens seien christlicher denn je, aber zugleich nehme das Verständnis für das Christentum ab. Materielle Ungleichheit werde vom Staat bekämpft, aber was Ehe, Familie oder Liebe in ihrer Substanz bedeuteten, komme nicht zur Sprache. Damit aber würden die soziokulturellen Lebensgrundlagen beschädigt.
Ausdrücklich prangerte Di Fabio die heutige "Sprachlosigkeit in der Flut des Gezwitschers" und die "Vereinsamung inmitten von 1.000 Facebook-Freundschaften" an. "Wird der Rechtsstaat gepflegt? Oder leben wir auf Kosten der Gesellschaft? Haben wir Zeit für Kinder? Oder ist die 24 Stunden-Kita morgen der Normalfall?", fragte der ehemalige Verfassungsrichter. Nicht die Würde des Kollektivs, sondern die Würde des Einzelnen müsse in den Vordergrund gestellt werden. "Wir dürfen nicht auf den Staat schauen, sondern müssen selbst Verantwortung übernehmen", forderte Di Fabio, "persönliche Entfaltung ist das letzte Ziel." Gerade Christen seien aufgerufen, diese Idee in die Gesellschaft zu tragen.
Zu Beginn der Veranstaltung hatte Dompropst Dr. Kurt Schulte an den ,Löwen von Münster‘, Kardinal Clemens August Graf von Galen, erinnert, der gegen die Nazis für das Recht auf Leben, Unverletzlichkeit und Freiheit eingetreten sei. "Er stand wie eine Eiche, unbeirrbar in der Achtung der Würde jedes Menschen", betonte der Dompropst, "er ist bedroht worden, hat gelitten und sich trotzdem die Freiheit genommen, Amboss zu sein, weil er wusste, dass der Amboss meistens länger hält als der Hammer."
Auch Lob und Furcht hätten ihn nicht beirren können, wie es auch sein Wahlspruch formuliert habe. Am Ende der Veranstaltung stellte Schulte fest, es habe sich als richtig erwiesen, für die erste Auflage der ,DomGedanken‘ – die mit diesem Abende endete – das Thema ,Freiheit‘ zu wählen.
Text: Bischöfliche Pressestelle
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