DomGedanken: Stefan Aust: "Der Wind der Welt hat sich gedreht"

, Bistum Münster

China hat einen Plan. Spätestens 2049, wenn die Volksrepublik 100 Jahre alt wird, will sie die führende Wirtschaftsmacht der Welt sein. „Es bestehen kaum Zweifel, dass Xi Jinping dieses Ziel erreichen wird.“ Wie vermutlich kaum ein anderer kann Stefan Aust die Situation einschätzen, hat er doch zusammen mit seinem Kollegen Adrian Geiges im vergangenen Jahr eine Biographie über den chinesischen Staats- und Parteichef veröffentlicht und verfolgt als Chefredakteur der Welt-N24-Gruppe akribisch die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Am 31. August gab der Journalist und Publizist beim vierten Abend der Reihe DomGedanken im St.-Paulus-Dom in Münster unter der Überschrift „Chinas großer Plan. Eroberung auf Schienen, Schiffen, Straßen“ einen Einblick in die Strategien der Volksrepublik.

Stefan Aust, Chefredakteur der Welt-N24-Gruppe, sprach bei den DomGedanken über „Chinas großen Plan“.

© Bistum Münster

„Der Wind der Welt hat sich gedreht“, ist sich Aust sicher. Russlands Überfall auf die Ukraine bezeichnete er als Zeitenwende, „die uns mit einer Realität konfrontiert hat, die wir vorher so weit wie möglich verdrängt haben“. Der Krieg, die Sanktionen gegen Russland und die Reduzierung der Gaslieferungen nach Deutschland hätten wie im Zeitraffer die gefährlichen Mängel der Energiewende deutlich gemacht. Die westliche Demokratie sei in Gefahr – nicht aufgrund chinesischer oder russischer Bedrohung, sondern weil der Westen zu sehr mit sich selbst beschäftigt sei. „Eine überhastete Energiewende produzierte alles, nur keine saubere Energie, vor allem aber Abhängigkeit von russischem Gas. Und das wird in der Zukunft wohl eher in Richtung Osten fließen“, ist Aust überzeugt. 

Der Herausgeber der Tageszeitung „Die Welt“ blickte in seinem Vortrag zurück auf die Wendepunkte der Vergangenheit und die langsamen und jetzt deutlich sichtbaren Verschiebungen der globalen Machtverhältnisse zwischen den USA, China und Russland. „Die USA und ihre Verbündeten sind heute isoliert wie nie zuvor“, stellte Aust fest. Russland habe sich zu einem kapitalistischen Land entwickelt, die Macht in den Händen einer Person, finanziert von den Rohstoffen und Energiequellen in seinem Erdboden. China dagegen werde von einer kommunistischen Partei regiert, aber auch da die Macht in der Hand einer Person. „Allerdings basiert das dortige Wirtschaftssystem auf den Händen und Köpfen der Bevölkerung und Geschäftsleute“, betonte Aust. 

Olympische Winterspiele 2022 als ein Wendepunkt

Als ein entscheidendes Ereignis in jüngster Zeit hob der China-Experte die Olympischen Winterspiele im Februar dieses Jahres hervor. Putin und Xi Jinping hatten bei diesem Anlass eine gemeinsame Erklärung zu den internationalen Beziehungen auf dem Weg in ein neues Zeitalter verabschiedet. „In diesem wollen sie nicht nur bestimmen, was in der Welt passiert, sondern auch, wie es genannt wird. Ob etwa Bomben auf eine Kinderklinik oder ein Theater voller Zivilisten ein Krieg sind oder nur eine Sondermilitäroperation.“ 

Aust zeigte die Strategie der Volksrepublik auf und verdeutlichte an Beispielen, wie sich China durch Wirtschaftsabkommen und Investitionen Loyalität erkaufe und auf diese Weise Abhängigkeit erzeuge. „Xi Jinping denkt in größeren Dimensionen“, betonte der Referent bei den DomGedanken. 50 Jahre nach dem bedeutenden Treffen des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon mit Mao Zedong seien China und Russland wieder Brüder und beide Feinde der USA. „Doch während nach 1949 Mao der kleine Bruder von Stalin war, haben sich die Verhältnisse jetzt umgekehrt: Xi Jinping ist der große Bruder und Putin der Kleine.“

Xi Jinping hat langfristigen Plan

Weltweiten Einfluss habe der chinesische Staatschef auch mit seiner Initiative für die neue Seidenstraße genommen. Sie erstreckt sich auf das Gebiet der Seidenstraße von vor 2000 Jahren, also Asien Afrika und Europa, hat sich aber bereits bis nach Lateinamerika ausgedehnt. „Überall soll die Infrastruktur entwickelt werden, der Handel ausgebaut und in die Transportmittel investiert werden, außerdem sichern die beteiligten Staaten gemeinsam die Energieversorgung, erschließen erforderliche Ressourcen und stellen Finanzmittel dafür bereit“, verdeutlichte Aust. 

Der Chefredakteur von „Die Welt“ schloss mit einem Blick auf die aktuelle Weltsituation. In Deutschland glaubten viele, die meisten Länder stünden auf der Seite der Ukraine. „Die Wahrheit ist, es entsteht ein anti-westlicher Block, so mächtig wie es ihn in der Geschichte noch nie gegeben hat“, zeigte sich Aust überzeugt. Der neue Block vereinige die aufstrebenden Wirtschaftsnationen mit China an der Spitze. „Wenn auf Sicht fahren das Grundprinzip der deutschen Politik ist, dann ist Xi Jinping die Gegenfigur, denn er hat einen langfristigen Plan“, so Aust und gab ein Beispiel: 850 Millionen Menschen seien in China in den vergangenen Jahren aus der Armut befreit worden. „Der Westen versucht das mit seiner Entwicklungshilfe seit Jahrzehnten vergeblich.“ 

„China ist stärker und aggressiver geworden, der Westen ist schwächer und zaghafter geworden.“

Austs Fazit: „China ist stärker und aggressiver geworden, der Westen ist schwächer und zaghafter geworden.“ Letzteres sei zu großen Teilen selbst verschuldet. „In ihrer Gier nach dem großen chinesischen Markt haben Microsoft und Apple, Volkswagen und Siemens den chinesischen Kommunisten das KnowHow geliefert, das sie brauchen, um mit wirtschaftlichen Mitteln die demokratischen Länder zu besiegen“, verdeutlichte er. Dadurch würden sich Demokratie und Funktionsfähigkeit scheinbar zu einem Gegensatzpaar zu entwickeln. „Nur träumen allein reicht nicht mehr aus“, forderte Aust eine Rückkehr zur Realität. 

Die DomGedanken enden am Mittwoch, 7. September, mit Prof. Dr. Mehrdad Payandeh, Professor für Internationales Recht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Bucerius Law School, Hamburg. Er spricht zum Oberthema der Reihe: „Wem gehört die Welt? Über die ordnende Kraft des Völkerrechts“.

Das Bistum Münster überträgt die DomGedanken 2022 live ins Internet. Interessierte können sie unter www.bistum-muenster.de und www.paulusdom.de sowie auf dem Facebook- und dem YouTube-Kanal des Bistums verfolgen; auf dem YouTube-Kanal sind sie auch in einer eigenen Playlist zusammengefasst.

Ann-Christin Ladermann