
Dr. Johannes Sabel
© Privat„Vonseiten des kirchlichen Lehramtes wird u. a. behauptet, dass wir ‚keine korrekten Beziehungen’1 zu anderen Menschen aufbauen können, aufgrund unserer ‚objektiv ungeordneten Neigungen’2 unser Menschsein verfehlen und dass gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht ‚auf die geoffenbarten Pläne Gottes hingeordnet anerkannt werden können’3“: In diesen wenigen Sätzen aus dem Manifest der Initiative #OutInChurch von 2022 wird etwas von der zutiefst erniedrigenden Erfahrung erahnbar, die Menschen in der Kirche machen, wenn sie nicht heterosexuell orientiert sind oder keine geschlechtliche Identität als Mann oder Frau haben. Diese Entwürdigungserfahrungen erzeugt eine Kirche, die zugleich die ‚Gottesebenbildlichkeit’ eines jeden Menschen als wesentliche Botschaft beschreibt. Das Dikasterium für die Glaubenslehre formulierte 2024: „Eine unendliche Würde (Dignitas infinita), die unveräußerlich in ihrem Wesen begründet ist, kommt jeder menschlichen Person zu, unabhängig von allen Umständen und in welchem Zustand oder in welcher Situation sie sich auch immer befinden mag.“ Überdeutlich ist die Kluft zwischen der emphatischen Betonung der Würde eines jeden Menschen und der von derselben Institution vorgenommenen Abwertung von queeren Menschen. Keine theologische Argumentation, biblisch oder moralisch, kann diese Diskrepanz legitimieren, ohne gegen den Gesamtsinn des Evangeliums zu verstoßen.
Humanwissenschaftlich weiß man, dass es eine breite Varianz von Geschlecht und Identität gibt. Meinte man lange Zeit, dass zumindest auf chromosomaler Ebene Klarheit herrsche – XX ist Frau, XY ist Mann – ist inzwischen klar, dass es XY-Frauen und XX-Männer gibt; dies lässt sich bis auf einzelne Gensequenzen weiter herunterbrechen. Humanwissenschaftler betonen aufgrund des variantenreichen Zusammenspiels vieler Faktoren, dass auf der biologischen Ebene gerade nicht ‚das letzte Wort’ über eine sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität gesprochen werden kann.4 Auch mit Blick in die Theologie weiß man heute, dass die biblische Erzählung der Erschaffung des Menschen auch anders zu lesen ist: Gott schuf die Menschen nicht, wie meist übersetzt, als ‚Mann und Frau’, sondern im hebräischen Originaltext erschuf er sie ‚männlich und weiblich’. Eine kleine Nuancenverschiebung, die aber bedeutsam ist, weil ein anderer Raum der Zuordnung von männlichen und weiblichen Merkmalen zu einem Menschen erkennbar wird. Zudem: Wie im gesamten ersten Schöpfungsbericht wird auch hier in Gegensatzpaaren erzählt, ohne dass das, was zwischen den Gegensätzen liegt, nicht auch gottgewollter Teil der Schöpfung sei. Konkret: Auch wenn Gott Licht und Finsternis schuf und sie Tag und Nacht nannte, bedeutet dies nicht, dass Morgengrauen und Abenddämmerung nicht genauso Teil der Schöpfung Gottes sind.
Es ließen sich viele weitere Erkenntnisse aus Theologie, Biologie, Psychologie zusammentragen, die belegen, dass Kirche hier reformbedürftig ist. Dass queere Menschen defizitär von der natürlichen Ordnung der Schöpfung abweichen und in gelebter Beziehung fehlerhaft, ‚sündig’ seien, diese Auffassung gilt es – auch um der Kirche und ihres Auftrages willen – zu revidieren. Der bischöfliche Beauftragte für die Queerpastoral, Weihbischof Ludger Schepers (Essen), beschreibt seinen Lernprozess, als er auf die Initiative #OutInChurch aufmerksam wurde: „Dann kam die ARD-Dokumentation ‚Wie Gott uns schuf’. Als ich diese Menschen gesehen und in ihre Augen geblickt habe, die unter Tränen von Diskriminierung, Ausgrenzung, Machtmissbrauch, Drohungen, Angst und Verzweiflung gesprochen haben, genau da, wo eigentlich unsere Kirche vom Leben in Fülle spricht. Die Kirche als ein sicherer Ort, ein safe space, das muss unsere Position sein. Um vielleicht mit dem Heiligen Geist zu sprechen: Jetzt genau besteht die Gelegenheit zur Reflexion, diffamierende und nicht mehr zeitgemäße kirchliche Aussagen zu Geschlechtlichkeit und Sexualität zu revidieren – auch aufgrund theologischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.“5
Die Akademie Franz Hitze Haus zeigt die mit der Initiative #OutInChurch verbundene Ausstellung „Gut.Katholisch.Queer“ vom 7. Juli bis zum 10. August 2025. Zum Programm
Quellennachweis:
1 Kongregation für den Klerus: Das Geschenk der Berufung zum Priestertum. Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis (2016), Nr. 199,22.
2 Kongregation für die Glaubenslehre: Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (2003), und: Katechismus der Katholischen Kirche (1997), Nr. 2357.
3 Michael Brinkschröder, Jens Ehebrecht-Zumsande, Veronika Gräwe, Bernd Mönkebüscher, Gunda Werner, #OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst, Freiburg i. Br. 2022, S. 23.
4 Wolfram Henn, Was oder wer bestimmt eigentlich das Geschlecht, Herder Thema: Sichtbar anerkannt, Freiburg i. Br. 2025, S. 4-7, S. 7.
5 Ludger Schepers in dem Interview „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“, Herder Thema: Sichtbar anerkannt, Freiburg i. Br. 2025, S. 24-29, S. 25.