Gemeinsame Gebetsstunde von Jesiden und Christen im Dom

Man muss kein Kurdisch verstehen, um die Trauer und den Schmerz zu spüren, die aus dem Lied klingen. Eine Frau singt eine jesidische Klage, ein Mann spielt dazu Laute.

Die Besucher des Friedensgebets von irakischen Christen und Jesiden am Dienstagabend (16. September 2014) im St.-Paulus-Dom Münster lauschen gebannt der Stimme und den Klängen, lassen sich davon berühren. Die Bedeutung der Worte können die meisten Zuhörer nur erahnen, aber sie erkennen sie auf den Gesichtern der jesidischen Frauen und Männer in den Kirchenbänken neben ihnen, an ihren Sorgenfalten und Tränen.

Im Irak werden religiöse Minderheiten, besonders Christen und Jesiden, verfolgt, vertrieben und getötet. Terroristen des "Islamischen Staats" (IS) haben ein Drittel des Landes unter ihre Herrschaft gebracht. Aus diesem Anlass trafen sich irakische Jesiden und Christen aus dem Bistum mit Vertretern anderer christlicher Konfessionen zum Gebet. "Indem wir gemeinsam beten, wollen wir unsere Solidarität mit verfolgten Christen und Jesiden bezeugen und unseren Willen zum Frieden bekunden", sagte Weihbischof Dieter Geerlings, stellvertretender Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Bereits seit Ende Juni seien die Jesiden "in größter Sorge, dass ein Vernichtungsangriff bevorsteht", sagte Sefik Tagay, Vorsitzender der Gesellschaft Ezidischer Akademiker. Was sich zurzeit im Irak ereigne, sei ein "Ferman", ein Völkermord. Jesiden würden vergewaltigt, getötet oder lebendig begraben. "Jesiden in Deutschland sind in größter Sorge um ihre Familienangehörigen", sagte Tagay, "die Bilder aus Medienberichten verfolgen sie bis in den Schlaf." Die Geschichte der Jesiden sei eine Geschichte systematischer Vernichtung, immer wieder würden sie als "Ungläubige" oder "Gottlose" abgestempelt. "Doch der IS-Terror ist eine völlig neue Dimension der Gewalt und darin beispiellos", sagte Tagay. Jesidische Flüchtlinge seien massiv traumatisiert und ohne Perspektive. Zudem droht ihr kulturelles Erbe laut Tagay für immer verloren zu gehen.

Die Christin Muna Korkis aus Tel Iskof, einer Kleinstadt nördlich von Mossul, berichtete, wie Menschen von einer Minute auf die andere ihre Dörfer verlassen mussten. Ihr Schwager sei gerade auf der Beerdigung seiner Schwiegermutter gewesen, als ihm mitgeteilt wurde, dass er wegen des Vorrückens des IS schleunigst fliehen müsse. "Nur das Nötigste konnte er mitnehmen", sagte Korkis. Sie erzählt von zwei alten Frauen, die sich geweigert hätten, das Dorf zu verlassen. Die Islamisten misshandelten sie schwer und wollten sie zwingen, zum Islam zu konvertieren. In Mossul würden Christen vor die Wahl gestellt, die Stadt zu verlassen, Schutzgeld an den IS zu zahlen, zum Islam zu konvertieren oder zu sterben.

"Christen und Jesiden gehören zum Orient", betonte Weihbischof Geerlings. Der Frieden sei ein Ziel beider Religionen. Und diese Herausforderung des Friedens übersteige religiöse Unterschiede. Beide Gruppen "bestürmen Gott im Gebet, dass der barbarische Terror gestoppt wird." Das Gebet sei eine Weltmacht, die Mauern zum Einsturz bringen könne.
Das Friedensgebet war eine besinnliche und nachdenkliche Feier, mit Lesungen, Gebeten und Gesängen auf Kurdisch, Arabisch und Deutsch. Am Ende der Andacht entzündeten Vertreter beider Gruppen eine Friedenskerze, die sie selbst gestaltet hatten, und trugen beim Auszug die Kerze der jeweils anderen Religion.

Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, die es bereits seit mehr als 4.000 Jahren gibt. Als Jeside wird man geboren, es gibt keine Möglichkeit, zum Jesidentum zu konvertieren. Deshalb sind die Anhänger dieses Glaubens nicht missionarisch tätig und tolerant gegenüber anderen Religionen. In einem Gebet der Jesiden heißt es: "Gott, schütze erst die 72 Völker, dann uns."

Text: Bischöfliche Pressestelle
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