Grußwort von Bischof Genn bei Symposoin der Josef Pieper Stiftung 2014
Schon die Philosophen der Antike beschäftigten sich mit dem, was auf neudeutsch "work-life-balance" heißt und was an diesem Wochenende Thema eines Symposions der Josef Pieper Stiftung ist.
Dieses findet unter dem Titel "Arbeit – Freizeit – Muße: Über eine labil gewordene Balance" von Freitag bis Sonntag (9. bis 11. Mai 2014) im Franz-Hitze-Haus in Münster statt. Zu den Teilnehmern zählte am Freitag auch Münsters Bischof Dr. Felix Genn, der zur Eröffnung am späten Nachmittag ein Grußwort sprach.
Darin wies Genn eingangs darauf hin, dass der 1997 verstorbene münsterländische Philosoph und Schriftsteller Josef Pieper "die Balance von Arbeit, Freizeit und Muße selber gelebt hat." Zwar sei es in der Außenwahrnehmung vor allem die Wiederentdeckung der Tugendlehre gewesen, mit der sich Pieper einen Namen gemacht habe. "In seiner Selbstwahrnehmung dagegen scheint die kulturtheoretische Reflexion auf die spezifischen Gefährdungen des modernen Menschen und deren Überwindung den Vorrang zu besitzen", sagte der Bischof.
Um wahrhaft Mensch zu bleiben, bedürfe es Pieper zufolge der "Freistatt inmitten der Arbeitswelt". Um das Missverständnis von "Freistatt" als "freie Zeit" oder gar "Freizeit" auszuschließen, habe Pieper später "die grundlegende Polarität von Arbeit und Muße angesichts der modernen Konsumgesellschaft stets als Trias von Arbeit – Freizeit – Muße formuliert".
Der Philosoph habe Muße als einen "Zustand der Seele" definiert, der mit den äußeren Fakten beispielsweise von Urlaub oder Wochenende nicht automatisch erreicht sei. In dieser Sichtweise liege auch ein Potenzial für glaubende Menschen. So entspreche der Seelenzustand in Piepers Sichtweise dann der Muße, wenn er von Bejahung als Zustimmung zur Welt, von Freude als Glück in der Kontemplation und von Selbstüberschreitung im Sinne des Lobpreises an den Schöpfer gekennzeichnet sei.
"Wer diesen Zusammenhang von Bejahung, Freude und Selbstüberschreitung in seinem Herzen realisiert, wird verstehen, was schon die einfachste Form der Liturgie ihrem Wesen nach sein will: das festlichste Fest, das überhaupt gefeiert werden kann", betonte der Bischof.
Die Wahrheit dieses Zusammenhangs zeige sich, wenn man mit Pieper die Aufmerksamkeit richte "auf das verbreitete Phänomen einer Unfähigkeit zur Muße, auf die gestörte Balance von Arbeit, Freizeit und Muße eben." Zu fragen sei, was heutige Menschen daran hindere, ihre wachsende freie Zeit in erfüllte Zeit zu verwandeln. "Langeweile, bloßes Zeit-Totschlagen, das verbreitete Sich-vergessen-wollen in Vergnügungen aller Art, das Sehen um des Sehens willen" seien Ausdrucksweisen der "Trägheit des Herzens", die schon die frühe Kirche zu den sieben Hauptsünden gezählt habe.
Einen Zusammenhang sah Bischof Genn zwischen "Piepers Versuch, mit philosophischen Mitteln die tiefer liegenden Ursachen der Mußeunfähigkeit freizulegen, und dem Grundanliegen des Apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus. Wiederholt setze Letzteres die "Freude des Evangeliums" der "Traurigkeit des Herzens" entgegen, "eben jener "tristitia saeculi", worin Josef Pieper die tiefste Wurzel der Unfähigkeit zur Muße gesehen hat."
Die "Krise des gemeinschaftlichen Engagements" und die "Prozesse einer Entmenschlichung", die der Papst eindringlich beschreibe, hätten in dieser Traurigkeit ihre Wurzel. Zugleich beziehe der Papst diese "Krankheit der Seele" auch auf die Situation in der Kirche. Denn wer in Traurigkeit und selbstsüchtiger Leere steckenbleibe, könne kein Missionar sein.
Nicht die Arbeit, sondern "die aus der Selbstbezogenheit hervorgehende Überwertung der menschlichen Aktivität" sei Gegenpol echter Muße. Die entscheidende Frage sei, wie die rechte Balance von Arbeit, Freizeit und Muße zu bewahren und eine gestörte Balance wiederherzustellen ist. Bewahrung und Wiederherstellung dieser "labil gewordenen Balance" könnten indes gelingen, "wenn wir den Rat von Papst Franziskus beherzigen und Gott erlauben, uns über uns selbst hinaus zu führen."
Neben diesen Ausführungen von Bischof Genn stehen viele weitere Vorträge zu verschiedenen Aspekten des Oberthemas auf der Tagesordnung des Symposions. Dessen Höhepunkt ist am Sonntag die Verleihung des Josef-Pieper-Preises an Prof. Dr. Rüdiger Safranski.
Text: Bischöfliche Pressestelle
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