Die Koffer standen gepackt im Flur; nach Dienstschluss wollte er mit seiner Familie in Urlaub fahren. Die Angehörigen sahen ihn nie wieder – nicht einmal den Toten. Zur Vertuschung der Erschießung durch die SS am 30. Juni 1934 – vor 90 Jahren – wurde die Leiche sofort verbrannt. In seinem Schreibtisch fand sich sein Lebensmotto, handgeschrieben auf einem Zettel: „Sei wahrhaftig in Deinem Handeln.“
Die Rede ist von Dr. Erich Klausener. An den ehemaligen Landrat des Kreises Recklinghausen wird 2024 in Berlin und Recklinghausen in Gedenkveranstaltungen erinnert, auch als Signal an die aktuellen Gefährdungen von Demokratien. „Mit der Namensgebung ‚Erich-Klausener-Haus‘ für unser katholisches Zentrum haben wir schon 1992 bewusst ein Zeichen gesetzt. Demokratien brauchen überzeugte Demokraten. Klausener war es aus christlicher Verantwortung. Unsere Demokratien sind nicht selbstverständlich. Sie sind immer wieder gefährdet und engagierte Demokraten waren und sind oft Opfer von Gewalt“, betont Georg Möllers, Vorsitzender des Stadtkomitees der Katholiken. Deshalb lädt das Stadtkomitee zu Gedenkveranstaltungen für Klausener am 30. Juni ein. „Sein Beispiel rüttelt uns als Christen auf, engagiert für die Wahrung von Menschenrechten einzutreten“, ergänzt er.
Vergessen ist Erich Klausener bis heute nicht. Darin erinnert Kreisdechant Karl Kemper: „Auch im Kreis tragen Straßen, Schulen, eine Lippebrücke und ein großer Gedenkstein seinen Namen.“ Deshalb ruft auch das Kreisdekanat zur Teilnahme auf. Als erster demokratisch gewählter Landrat musste sich Klausener ab 1919 in einer Zeit der Krisen bewähren. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nach dem Krieg waren katastrophal. Hinzu kam die Gefährdung der jungen Republik. 1920 organisierte er mit Parteien und Gewerkschaften den Kampf angesichts bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen gegen rechte und linke Demokratiefeinde. Vor allem aber blieb der überzeugte Katholik quer durch alle Parteien wegen seiner zahlreichen Initiativen als „sozialer Landrat“ in Erinnerung. „Mich beeindruckt vor allem, dass für ihn Sozialpolitik wirklich ‚Chefsache‘ war“, sagt Giancarlo Cillies, Geschäftsführer des SkF Recklinghausen. So ging beispielsweise die Errichtung mehrerer Heil- und Erholungsstätten angesichts der gerade für Kinder gefährlichen Tuberkuloseerkrankung auf seine Initiative zurück.
„Die Polizei ist die Dienerin der Republik“: Diesen Satz seiner Rede übernahm die Presse als Überschrift, als er 1929 das neue Polizeipräsidium in Recklinghausen offiziell in Vertretung des preußischen Innenministers eröffnete. 1924 war nämlich die preußische Regierung auf den engagierten und effizient arbeiteten Demokraten aufmerksam geworden. Der Freistaat wurde von dem Demokraten der „Weimarer Koalition“ (SPD, Zentrum, Liberale) regiert. Zunächst gehörte das Zentrumsmitglied Klausener zu den führenden Beamten im Sozial-, dann im Innenministerium. Seine Reform für eine bürgernahe demokratisch orientierte Polizei war beispielhaft. „Damit machte er sich gefährliche Feinde – bei den links- und rechtsradikalen Demokratiegegnern“, erklärt Möllers.
Nicht nur wegen dieser Arbeit und seiner internen Kenntnisse geriet Klausener am 30. Juni auf die Hinrichtungsliste, die anlässlich des sogenannten „Röhm-Putsches“ zur Liquidierung von Gegnern der NSDAP führte. Erschossen wurde er auch, so sein Mörder im Prozess der Nachkriegszeit, als „gefährlicher Katholikenführer“. Der engagierte Vertreter des Sozialkatholizismus hatte in Berlin als Gründer und Leiter der „Katholische Aktion“ die Bildungs-, Sozial- und Gemeindearbeit der religiösen Minderheit aufgebaut. „Wegen seiner Proteste gegen die Unterdrückung der Arbeitervereine 1933/34 war er bereits öffentlich von führenden Nationalsozialisten angegriffen und bedroht worden. Trotzdem ergriff er am 24. Juni 1934 vor 50.000 Menschen auf dem von ihm organisierten Märkischen Katholikentag noch einmal das Wort“, führt Möllers aus. Sechs Tage später kam ein SS-Mordkommando in sein Dienstzimmer. „Am 24. Juni findet auf der Rennbahn in Hoppegarten bei Berlin eine Gedenkfeier eines Initiativkreises und des Erzbistums Berlin statt. Wir sind eingeladen und werden mit einer Delegation aus Recklinghausen daran teilzunehmen“, informiert Marc Gutzeit vom Katholischen Kreisdekanatsbüro.
In Recklinghausen sind am Sonntag, 30. Juni, drei Veranstaltungen geplant. In einer Gedenkstunde an seinem Wirkungsort im ehemaligen Kreishaus wird zunächst vor allem des Engagements als Demokrat, Landrat und Polizeireformer gedacht. Zum Gedenkgottesdienst um 11.30 Uhr in St. Peter, den Weihbischof Rolf Lohmann zelebriert, sind alle Interessierten herzlich eingeladen. Anschließend findet ab 13.15 Uhr am Erich-Klausener-Haus an der Kemnastraße ein „Tag der offenen Tür“ statt. Der Sozialdienst katholischer Frauen, die Ehe- und Familienberatung, die Zentralrendantur sowie das Kreisbüro und Stadtkomitee stellen ihre Angebote vor. „Wir freuen uns auf viele Gäste und besonders auf die Mitwirkung der Big Band der Erich-Klausener-Realschule aus Herten“, lädt Möllers ein.