Kirche benutzt Sprache „wie vor 40 Jahren“: Autor Erik Flügge zu Gast in Coesfeld
"Hand hoch: Wer von Ihnen hat sich schon einmal über eine Predigt geärgert?" In der Coesfelder St.-Lamberti-Kirche gehen alle Arme hoch. Rund 200 Interessierte sind am Donnerstagabend, 15. September, gekommen, um den Vortrag von Erik Flügge zu hören.
Der 30-jährige Politik- und Kommunikationsberater aus Köln hatte im Sommer mit seinem Buch "Der Jargon der Betroffenheit – Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt" die Bestseller-Listen gestürmt.
Als Flügge die Frage anschließt, wer denn später zum Pfarrer gegangen sei und ihn auf eine schlechte Predigt angesprochen habe, gehen nur vier Arme hoch. "Sehen Sie", schmunzelt er.
Der Abend ist voll von solchen Aha-Momenten. Flügge redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, manchmal benutzt er auch das Wort "Sch…". Und genau das, "Reden wie beim Bier", erwartet
er auch von der Kirche. Sonst spreche sie nicht die Sprache der Menschen, werde nicht verstanden und akzeptiert. Da gebe es einen Bischof, erzählt Flügge, der benutze des Öfteren
den Begriff "Gottesgegenwärtigkeit". "Das finden Sie in keinem Duden." In der Bibel selbst werde eine klarere Sprache verwendet: "Da heißt es über Gott: Ich bin da. Einfach nur: Ich bin da. Wieso können wir nicht so reden wie vor 2000 Jahren?"
Eine mögliche Erklärung liefert der Autor gleich mit: "Die Kirche hat ihre Sprache in den 70er-Jahren eingefroren." Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Liturgiereform seien so Begriffe wie "Gottesgegenwärtigkeit" erst aufgekommen, oder dass eine Seelsorgerin nach eigenen Worten versuchen wolle "ein passendes Gefäß für Gott zu werden". "Wie soll das gehen?", fragt Flügge ironisch. "Ein so großes Gefäß kann ein Mensch gar nicht werden, dass Gott dort hineinpasst." Die Sprache der Kirche, so lautet Flügges Plädoyer, muss so klingen wie von heute, damit sie von den Menschen von heute auch verstanden wird.
Und das bedeutet für ihn: kein Geschwafel, sondern klare Ansagen. Auch wenn das für manchen Prediger schwierig werden könne: "Wenn man plötzlich versteht, was ich sage, habe ich ein Problem, wenn ich nicht weiß, wovon ich rede." Auch Kirchenleute kämen schließlich manchmal in die Situation, mit einem Text nichts anfangen zu können. "Ich warte noch auf den Pfarrer, der sich traut zu sagen: ‚Ich lese Ihnen das Evangelium heute gern auch zweimal vor, aber ich werde darüber nicht predigen, denn diese Bibelstelle sagt mir nichts.‘" Natürlich sei die betuliche Sprache der Kirche in manchen Situationen angemessen: im persönlichen Gespräch zum Beispiel mit Angehörigen eines Sterbenden oder Menschen in Lebenskrisen.
"In diesen Momenten wirkt die Sprache der Theologen wie Medizin." Doch wenn man immerzu Antibiotika schlucke, komme der Tag, an dem man resistent gegen den Wirkstoff werde. Eine klare Sprache ist für Flügge übrigens alles andere als Klamauk: "Natürlich habe ich mir vorher Gedanken gemacht, ob ich in der Kirche, im Angesicht des Kreuzes, das Sch…-Wort benutzen darf." Auch für seine provokante Aussage, die Kirche werde an ihrer Sprache "verrecken", sei er oft kritisiert und als Flegel bezeichnet worden. "Aber schauen Sie sich das Kreuz genau an", forderte er die Zuhörer auf. "Es geht um Knochenbrechen, um Nägel an Händen und Füßen, um unsägliches Leiden. In jeder Kirche hängt das Verrecken buchstäblich an der Wand.
Und Jesus wäre bestimmt nicht ans Kreuz geschlagen worden, wenn er jedes Wort so abgewogen hätte, dass er nur ja niemanden verletzt."
Bildunterschrift: 200 Zuhörer lauschten Autor Erik Flügge bei seinem Vortrag über die Sprache
der Kirche in der Coesfelder St.-Lamberti-Kirche.
Text: Bischöfliche Pressestelle / 16.09.16
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Foto: Bischöfliche Pressestelle/Thomas Mollen