Jenseits der „Brauchbarkeit“ von Migrantinnen und Migranten sei es, so Kossen weiter, eine Frage der Menschlichkeit und der Weisheit, mit welcher Haltung die Gesellschaft mit denen umgehe, die ihre Heimat aus verschiedenen Gründen zu verlassen gezwungen waren. Zurzeit werde Stimmung gegen Migration jeder Art in Deutschland gemacht. Migranten gerieten unter Generalverdacht, würden Projektionsfläche diffuser Ängste und ungelöster gesellschaftlicher Probleme: „Viele wissen, dass einfache Erklärungen nicht taugen. Wo sind die Kirchen, die unbeirrbar dagegenhalten?“ Gerade nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen müsse klar sein: „Feigheit vor dem Mainstream ist für uns Christen keine Option!“ Weltoffenheit und Differenzierung seien viel besser begründet als Ausgrenzung und Abschottung.
Pfarrer Kossen fragt sich in diesem Kontext: „Wie verlogen ist es, wenn die deutsche Gesellschaft Dienstleistungen von Migrantinnen und Migranten gern und selbstverständlich annimmt und dann den gleichen Menschen mangelnde Integration vorwirft?“ Und er fährt fort: „Aus der Arbeit mit den modernen Sklaven der Fleischindustrie weiß ich, dass, wer sechs Tage in der Woche und elf Stunden am Tag schuftet, danach kein Deutsch mehr lernt.“ Kossen nennt die Alten- und Krankenpflege, die Lebensmittelproduktion, die Paketdienste, die Lkw-Fahrer, die Hotellerie, die Gastronomie und den Bausektor als Beispiele für Branchen, die ohne migrantische Arbeitskräfte in Deutschland nicht mehr funktionieren würden: „Die größere Verantwortung für gelingende Integration liegt bei der aufnehmenden und profitierenden Gesellschaft, also bei uns.“
Zu Äußerungen der Parteivorsitzenden, die gern das Christliche als Markenkern vor sich hertrügen, sagt Peter Kossen: „Im Frühjahr habe ich eine fünfköpfige syrische Familie im Kirchenasyl in meinen Privaträumen im Pfarrhaus beherbergt. Schon vorher habe ich es geahnt, jetzt weiß ich es, wie menschenverachtend das Dublin-Abkommen ist und wie verwerflich der Populismus im Stil von Markus Söder und Friedrich Merz ist, die um jeden Preis dieses Abkommen durchsetzen wollen.“ Der Pfarrer ist überzeugt: „Bei einer nachhaltigen Bekämpfung der Not, die Menschen zwingt, aus ihrer Heimat zu fliehen, wird entscheidend unsere Antwort auf die Frage sein: Wollt ihr nur helfen oder wollt ihr auch teilen?“ Nur die Bereitschaft zum Teilen habe das Potenzial, die Güter der Erde gerecht zu verteilen und Fluchtursachen dauerhaft zu bekämpfen. „Das gemeinsame Haus ist die Lösung nicht die Festung Europa“, sagt Kossen abschließend.