Sofas im Chorraum, Tanzen unter der Orgelbühne, Graffiti an der Kirchenmauer: Seit 20 Jahren ist die Jugendkirche Münster, früher Jugendkirche effata[!], ein Raum für junge Menschen in Münster. Ist das Projekt, das 1997 aus dem Diözesanforum zu Fragen der Kirchenentwicklung hervorging, bei dem eigene kirchliche Räume für Jugendlichen gefordert wurden, eine Erfolgsgeschichte? Thorsten Löhring, seit 2016 Mitarbeiter und seit 2022 Leiter der Jugendkirche, ist sich sicher, dass es so ist, tut sich dennoch schwer mit dem Begriff. „Woran mache ich Erfolg fest?“, fragt er – und gibt seine Antwort: „Für mich ist die Jugendkirche erfolgreich, wenn sich junge Menschen hier einbringen und gestalten können.“
Mit eben diesem Ziel wurde sie im Dezember 2002 als Einrichtung des katholischen Stadtdekanats gegründet. „Zwei Jahre lang waren wir zuvor in den Pfarreien in Münster unterwegs, um das Konzept vorzustellen und um Ängste zu zerstreuen“, erinnert sich Markus Kortewille, damals Mitte 20 und ehrenamtlicher Mitarbeiter des in jener Zeit so betitelten „Leuchtturmprojektes“. Ängste, dass die Jugendkirche die ohnehin wenigen aktiven jungen Menschen aus den Pfarreien abzieht. „Es ging letztlich auch um den Mut, Jugendlichen zuzutrauen, dass sie sich einen Kirchenraum selbst aneignen können“, sagt Kortewille. Der Eröffnungsgottesdienst sorgte für Aufsehen: buntes, bewegliches Licht, damals noch eine Rarität, Breakdancer, die das Gloria tanzten, später eine Party im Kirchenraum. „Es hat funktioniert und zwar in einem sehr würdevollen Rahmen“, bewegen Kortewille die Erinnerungen noch heute.
2014 dann der große Umbau. „Bis dahin mussten in der St.-Martini-Kirche für jede Veranstaltung Scheinwerfer, Leinwände und Musikequipment aufgebaut werden“, erklärt der damalige Ehrenamtliche. Mit dem Umbau wechselte auch die Trägerschaft vom Stadtdekanat hin zum Bistum, genauer zur Hauptabteilung Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. 2019 schlug das Team ein neues Kapitel auf – Zeit für einen Relaunch, um den Bedürfnissen einer sich immer wieder verändernden Jugendkultur gerecht zu werden. Statt der vorherigen Zielgruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entschieden die Verantwortlichen, künftig den Fokus auf Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren zu legen. „15- und 30-Jährige fallen beide unter ‚junge Menschen‘, aber es ist trotzdem ein riesiger Unterschied und wir möchten, dass auch 15-Jährige Verantwortung übernehmen und sich und ihre Ideen entfalten können“, erklärt Löhring.
Begleitet vom Zentrum für angewandte Pastoralforschung in Bochum entwickelte die Jugendkirche Münster ein neues Konzept, stellte bestehende Formate auf den Prüfstand und probierte neue aus. „Von, für und mit Jugendlichen, so steht es nicht nur bei uns draußen am Schild, sondern so leben wir es auch“, sagt der Leiter. Meint konkret: Vorgaben gibt es kaum. Dafür werden Raum und Ressourcen zur Verfügung gestellt, damit die Jugendlichen gestalten können. Einmal im Monat findet das Jugendkirchen-Forum statt, wozu alle Ehrenamtlichen und Engagierten eingeladen sind, derzeit etwa 40 bis 50 Jugendliche. „Natürlich kommen nicht immer alle“, sagt Löhring, der auch erst lernen musste, dass Jugendliche eher unverbindlich Zu- und Absagen geben. Das Forum beginnt jedes Mal mit einer offenen Ideensuche. „Da sind Engagierte dabei, die kirchlich geprägt sind und sich liturgische Angebote vorstellen können, und da sind welche, die eher Lust auf Kultur und Gemeinschaft haben und eine Kopfhörerparty vorschlagen“, beschreibt Löhring. Beides ist gewollt. „Diese große Freiheit schützt am Ende vor dem Altwerden der Jugendkirche“, ist er überzeugt, auch wenn das flexible Arbeiten die Hauptamtlichen immer wieder vor Herausforderungen stellt.
Die großen Massen wie in den ersten zehn Jahren, kommen nicht mehr in die Jugendkirche. „Jugendliche sind die Zielgruppe, die in der Kirche am schwierigsten zu erreichen ist“, ist sich der Leiter bewusst. Schulprojekttage, das benachbarte Café Lenz und nicht zuletzt Aktionen wie „Bring your friend“, bei der die Ehrenamtlichen Freunde mitbringen können, bieten Anknüpfungspunkte. Ebenso das etablierte Format „Ask the bishop“, bei dem sich Bischof Dr. Felix Genn sowie die Weihbischöfe des Bistums regelmäßig den Fragen der Jugendlichen stellen. Die Themen legen die Jugendlichen fest. „Früher wie heute ist der persönliche Kontakt wichtig, es muss Beziehung entstehen“, sagt Löhring. Er und sein Team haben sich freigemacht von dem Anspruch, „den Tempel vollzubekommen“, wie 32-Jährige flapsig sagt. „Es braucht nicht immer eine hohe Quantität, um gute Qualität zu bieten – das war für uns auch ein Lernprozess“, gibt er zu. Vielmehr stellen sich die Engagierten inzwischen der Herausforderung, den Raum zu verkleinern, um trotzdem Gemeinschaft erfahrbar zu machen. „Statt im Kirchenraum können Angebote auch vorne im Chorraum stattfinden“, gibt Löhring ein Beispiel.
Die größte Aufgabe aus seiner Sicht wird es sein, die Zielgruppe im Blick zu behalten. „Wir wollen nicht bewerten, was für die Jugendlichen richtig ist, sondern wir möchten sie fragen“, sagt er. Das tun die Verantwortlichen und nutzen dafür selbstverständlich modernen Kommunikationsmittel wie Instagram oder entsprechende Tools. „Wir dürfen nicht aufhören zu fragen, dann verpassen wir auch nicht den Anschluss, wenn sich die Bedürfnisse und Wünsche der Jugendlichen wandeln.“