Pfarrer Schulze Raestrup spricht für Augen und Ohren

"Hören zu können ist ein Geschenk." Während Pfarrer Norbert Schulze Raestrup diesen Satz sagt, zieht er die Augenbrauen hoch und zeigt mit seinem Zeigefinger Richtung Ohr.

Der 73-Jährige aus Roxel spricht stets deutlich und sucht Blickkontakt – er spricht für Augen und Ohren seines Gegenübers. Das hat er in den zurückliegenden 41 Jahren verinnerlicht, in denen er als Diözesanpräses für die Gehörlosenseelsorge im Bistum Münster tätig war. An Karsamstag, 15. April, gibt er dieses Amt an seinen Nachfolger Pfarrer Wolfgang Schmitz aus Ennigerloh ab.

"Das war damals ein echter Sprung ins kalte Wasser", erinnert sich Schulze Raestrup an das Jahr 1975 und lächelt dabei. Er lässt den Blick aus seinem Wohnzimmerfenster über das Gelände der Altenhilfeeinrichtung in Roxel schweifen, in der er vor fünf Jahren eine Dachgeschosswohnung bezogen hat. Damals unterrichtete er erst seit kurzem Religion an einer Berufsschule in Münster, als er gefragt wurde, ob er Diözesangehörlosenseelsorger werden möchte. Nur einen einzigen Kontakt zu einer gehörlosen Frau in Recklinghausen habe er zuvor gehabt, der er ein Geschenk zum 70. Geburtstag überreichen sollte. "Wir konnten uns überhaupt nicht verständigen", blickt er zurück. Trotzdem sagte er zu. Ein Jahr lang ließ er sich von einem gehörlosen, sprechenden Ehepaar in die lautsprachenbegleitenden Gebärden einweisen, übte die Bewegungen mit den Händen und lernte die dazugehörigen Begriffe. "Kurse, Bücher oder Videos dazu gab es ja damals noch nicht", sagt er.

Doch Schulze Raestrup blieb nicht nur bei der Theorie, sondern suchte den Kontakt zu den rund 800 Gehörlosen im Bistum Münster. Ein Großteil davon ist in acht Vereinen zusammengeschlossen, die zum Verband der Katholischen Gehörlosen Deutschlands gehören. "Natürlich kenne ich nicht jeden, aber doch viele, weil die Gemeinden klein sind und die Seelsorge darum sehr intensiv und individuell ist", erklärt der rüstige Pfarrer. Für die Seelsorge ein Vorteil, mit Blick auf die Zukunft ein Umstand, der ihn zum Nachdenken bringt. "Die Zahl der Mitglieder in den Vereinen geht kontinuierlich bis auf wenige Ausnahmen zurück", erklärt Schulze Raestrup.

Zu dieser Entwicklung trage unter anderem der technische Fortschritt bei. So habe es zu Beginn seiner Amtszeit nur die Form der persönlichen Begegnung als Kommunikation gegeben. "Um einen Gesprächstermin zu vereinbaren, habe ich in einem Briefumschlag eine Postkarte verschickt. Auf der stand: ‚Ich würde Sie gerne am Mittwoch um 10 Uhr besuchen. Ja – Nein.‘ Die konnte dann an mich zurückgeschickt werden", erklärt er. Das Schreibtelefon, einige Jahre später das Faxgerät und schließlich das Internet seien "segensreiche Entwicklungen" gewesen. "Früher hieß es: ‚Der Gehörlosenverein ist die Heimat des Gehörlosen‘, weil sie dann einmal im Monat miteinander plaudern konnten", sagt Schulze Raestrup. Heute sei eine Kommunikation über Skype oder ein Videoanruf rund um die Uhr möglich.
Für den scheidenden Diözesangehörlosenseelsorger, der stets ein Lächeln im Gesicht trägt und seine Worte häufig mit Gesten untermauert, steht jedoch nach wie vor die Begegnung im Vordergrund: Unzählige Gottesdienste hat er in den 41 Jahren mit den Gehörlosen gefeiert, Kinder und Jugendliche der Gehörlosenschule in Münster auf die Erstkommunion und die Firmung vorbereitet und jährlich einen Gemeinschaftstag sowie Exerzitien organisiert. Zu den Höhepunkten zählt Schulze Raestrup die Wallfahrten, unter anderem nach Rom, Lourdes und Israel. Begegnungen, die den 73-Jährigen geprägt haben. "Ich denke zum Beispiel oft an die bundesweiten Jugendtreffen zurück. Die Gespräche über Gott und den Glauben, die ich mit den gehörlosen Jugendlichen auf so mancher Wanderung geführt habe, haben mich tief beeindruckt."

Ob hauptamtlich als Berufsschullehrer, Sonderschulreferent im Generalvikariat, Pfarrer in St. Antonius Gronau oder in den vergangenen Jahren als Subsidiar in der Seelsorgeeinheit in Münster Albachten, Mecklenbeck und Roxel tätig – Schulze Raestrup blieb über all die Jahre Diözesanpräses für die Gehörlosenseelsorge im Bistum. "Es hat mir sehr viel Freude gemacht, mit den Gehörlosen Gottesdienst zu feiern, sie ansprechen zu können und zu sehen, wie sie sich von der Botschaft Jesu Christi begeistern lassen", fasst er zusammen. Viel habe er von den Menschen zurückbekommen. Aufgrund seiner achtjährigen Tätigkeit als Generalpräses des Verbandes der Katholischen Gehörlosen Deutschland ist Schulze Raestrup gut vernetzt, weit über das Bistum hinaus. Und ein gefragter Pfarrer: Mehrmals im Jahr bekommt er von Gehörlosen, die er in den vergangenen Jahrzehnten begleitet hat, Anfragen für Trauungen oder Taufen. "Darüber freue ich mich jedes Mal sehr. Ich bleibe mit ganzem Herzen Gehörlosenseelsorger."

Bildunterschrift: Nach 41 Jahren gibt Diözesangehörlosenseelsorger Pfarrer Norbert Schulze Raestrup sein Amt ab.

Text: Bischöfliche Pressestelle / 11.04.17
Kontakt: Pressestelle[at]bistum-muenster.de
Fotos: Bischöfliche Pressestelle/Ann-Christin Ladermann