Realismus statt Ideologie

, Bistum Münster

Für eine Anerkennung des von moralischen Grundsätzen geleiteten deutschen Unternehmertums und für ein weltoffenes und engagiertes Deutschland als Motor eines zukunftsfähigen Europas hat sich am 19. September im St.-Paulus-Dom Münster Christian Kullmann stark gemacht. Der Vorstandsvorsitzende von Evonik Industries war zum Thema „Für die freiheitlich-soziale Moderne – Verantwortungsethik als Schlüssel“ der letzte Redner der Domgedanken 2018. Die fünfteilige Vortragsreihe stand in diesem Jahr unter dem Titel „Über Deutschland“.

In diesem Sinne betrachtete Kullmann sein Heimatland und dessen Rolle im vereinten Europa aus der Perspektive des Unternehmers. Dass es den Deutschen sehr gut gehe und Deutschland ein „Sehnsuchtsort“ für Menschen aus aller Welt sei, bewertete er als wesentliche Errungenschaft des Grundgesetzes in Verbindung mit der sozialen Marktwirtschaft. Vor diesem Hintergrund könne man mit Stolz und Selbstbewusstsein auf das Land und dessen Leistung blicken.

Trotzdem erscheine Deutschland in der öffentlichen Debatte oft als Land „der Unzufriedenen, der Ungerechtigkeiten, der Abstiegsängste“. „Damit verbunden ist ein ordnungspolitisches Misstrauen gegen die Wirtschaft“, kritisierte der Unternehmer. Als Ursachen nannte er die Angst vor Veränderungen, das zunehmend reglementierte und unüberschaubare Alltagsleben und die These steigender Ungerechtigkeit. Demgegenüber stellte er Fortschritte wie Mindestlohn, verbesserte private Vermögensverhältnisse der Mittelschicht und steigende Einkommen.

Auch die Bibel und viele Päpste hätten Misstrauen gegen Unternehmer befördert. Zwar müsse sich der Papst immer auf die Seite der Armen stellen, stellte Kullmann mit Blick auf Äußerungen von Papst Franziskus zum Thema fest, aber auch ein Papst müsse darüber nachdenken, wie sich Armut überwinden lasse. Ohne Wachstum gelinge das nicht.

Gerade in Deutschland habe die Soziallehre Kirche und Wirtschaft einander näher gebracht. Zudem seien deutsche Unternehmer in der sozialen Marktwirtschaft aufgewachsen und so in moralischer Hinsicht „besonders geschult“. Für sich persönlich leite er daraus Ehrlichkeit, politisches Engagement und Gerechtigkeit als Handlungsmaximen ab. Eindringlich plädierte der Evonik-Vorstand für die Beibehaltung der sozialen Marktwirtschaft und sprach sich für „Realismus statt Ideologie“ in allen Bereichen der Politik aus.

Als „Zentralmacht Europas“ müsse Deutschland nicht auf die Verfolgung eigener Interessen verzichten, sei aber verpflichtet, „über einen weltblinden Nationalismus hinauszuwachsen, weil wir aus der Geschichte wissen, dass Nationalismus kein Problem löst, er vielmehr alle Anlagen mit sich bringt für neuen Zwist und wirtschaftlichen Niedergang aller Beteiligten.“ Die Anstrengungen, Deutschlands „glückliche Gegenwart“ in Europa zu erhalten, nehme er derzeit als „ziemlich verzagt“ wahr. Dabei komme Deutschland nicht aus ohne die gemeinsame Währung und die gemeinsame Politik. Man brauche in Europa mehr Gemeinsamkeiten, um die Chancen nutzen zu können. „Wir sind die mentale Antriebskraft dieses freiheitlichen und sozialen Europas, wir sind fleißig erfindungsreich und weltoffen“, charakterisierte Kullmann Deutschland abschließend, „dieser Motor braucht keine Verzagtheit. Er braucht den Treibstoff des Selbstbewusstseins, des wirtschaftlichen Zukunftsmutes, der politischen Tatkraft und des Freundschaftswillens zu allen Nachbarn und der Welt.“

Musikalisch gestalten Jutta Bitsch und Witold Grohs den Abend. Dompropst Kurt Schulte bedankte sich zum Finale der Domgedanken 2018 bei allen, die die Reihe organisiert haben, sowie bei den Besuchern. Die von ihnen bei den fünf Terminen statt eines Eintrittsgeldes gespendete Summe kommt einem Projekt für Flüchtlinge zugute.

Anke Lucht

Bilder: Dirk Bannert / Evonik